Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis

Titel: Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
Vom Netzwerk:
Acht oder zehn Jahre. Ich habe mir das damals ziemlich deutlich vorgestellt ... den Vater, der seinen Sohn begräbt, ich weiß nicht, vielleicht tun das ja alle Eltern.«
    Sie stellte zwei dampfende Tassen auf den Tisch und setzte sich wieder ihm gegenüber.
    »Ich nicht«, sagte sie. »Jedenfalls nicht so detailliert. Warum hast du dich damit gequält? Es muss doch Gründe gegeben haben.«
    Van Veeteren nickte und nippte vorsichtig an dem starken, süßen Getränk.
    »Ja«, er zögerte einen Moment. »Doch, es hat Gründe gegeben. Einen zumindest ... mit achtzehn Jahren hat Erich versucht sich das Leben zu nehmen. Hat sich mit genug Tabletten für fünf oder sechs erwachsene Menschen voll gestopft. Eine Freundin hat ihn rechtzeitig gefunden und ins Krankenhaus geschafft. Ohne sie wäre er gestorben. Das ist jetzt über zehn Jahre her, eine Zeit lang habe ich jede Nacht davon geträumt. Nicht nur von seinem leeren, verzweifelten, schuldbewussten Blick da im Krankenhaus ... Ich habe auch davon geträumt, dass er es geschafft hätte, dass ich frische Blumen auf sein Grab brachte. Und so weiter. Es kommt mir fast so vor, als ob ... als ob ich dafür trainiert hätte. Jetzt ist es Wirklichkeit, damals wusste ich, dass es früher oder später dazu kommen würde ... das glaubte ich zumindest. Ich hatte es fast vergessen, aber jetzt ist es passiert. Erich ist tot.«
    Er verstummte. Der Zeitungsbote oder irgendein Nachbar ging draußen durch das Treppenhaus. Ulrike wollte etwas sagen, blieb dann aber stumm.
    »Ich wollte vorhin in die Keymerkirche«, sagte Van Veeteren jetzt, »aber die war geschlossen. Kannst du mir erzählen, warum wir unsere Kirchen abschließen müssen?«
    Behutsam streichelte sie seine Hand. Eine Minute verging. Zwei Minuten. Sie siebte Worte aus, das sah er.
    »Erich ist nicht gestorben, weil er das wollte«, sagte sie endlich. »Das ist ein wichtiger Unterschied.«

    Er gab keine Antwort. Zog seine rechte Hand zurück und trank einen Schluck.
    »Vielleicht«, sagte er. »Vielleicht ist das ein wichtiger Unterschied. Ich kann das jetzt nicht entscheiden.«
    Danach schwiegen sie wieder. Graues Dämmerlicht sickerte durch das Fenster. Es war einige Minuten nach sieben. Draußen waren Straße und Stadt erwacht. Zu einem weiteren Novembertag. Das Leben nahm wieder Anlauf.
    »Ich kann nicht mehr darüber reden«, sagte Van Veeteren. »Ich begreife nicht, was es bringen sollte, alles in eine Menge von Wörtern einzuwickeln. Verzeih mir mein Schweigen, ich bin dankbar dafür, dass du hier bist. Unendlich dankbar.«
    »Das weiß ich«, sagte Ulrike Fremdli. »Nein, es geht hier nicht um Worte. Es geht hier überhaupt nicht um uns. Sollen wir uns nicht noch ein wenig hinlegen?«
    »Ich wünschte, es wäre mir passiert.«
    »Das ist ein vergeblicher Wunsch.«
    »Ich weiß. Vergeblichkeit ist die Spielwiese der Wünsche.«
    Er leerte seine Tasse und folgte ihr ins Schlafzimmer.
     
    Gegen Mittag rief Renate an, seine geschiedene Frau, die Mutter seines toten Sohnes. Sie sprach zwanzig Minuten mit ihm, manchmal redete sie, manchmal weinte sie. Als er aufgelegt hatte, dachte er daran, was Ulrike gesagt hatte.
    Es geht hier überhaupt nicht um uns.
    Er wollte versuchen, diesen Satz im Kopf zu behalten. Ulrike hatte ihren Mann unter Umständen verloren, die ihn an die jetzige Lage erinnerten; es war fast drei Jahre her, und dadurch hatten sie sich kennen gelernt. Van Veeteren und Ulrike Fremdli. Vieles sprach dafür, dass sie wusste, worum es hier ging.
    Soweit überhaupt jemand das wissen konnte. Um zwei Uhr setzte er sich ins Auto und fuhr zum Flughafen von Maardam, um Jess abzuholen. Jess war völlig aufgelöst, als sie in der Ankunftshalle auf ihn zustürzte; sie fielen einander um den Hals
und blieben mitten im Gewühl stehen ... stundenlang, so kam es ihnen vor. Standen einfach nur da, im üblichen Gewimmel von Sechshafen, und wiegten sich hin und her, in wortloser, zeitloser, gemeinsamer Trauer.
    Er und seine Tochter Jess. Jess mit ihren siebenjährigen Zwillingen und dem Ehemann in Rouen. Erichs Schwester. Sein überlebendes Kind.
    »Ich möchte noch nicht zu Mama«, gestand sie, als sie Tiefgarage und Auto erreicht hatten. »Können wir nicht einfach zuerst ein bisschen in der Gegend herumfahren?«
    Er fuhr bis nach Zeeport, dem kleinen Gasthaus draußen bei Egerstadt. Rief Renate an, um ihr mitzuteilen, dass sie sich ein wenig verspäten würden, und den restlichen Nachmittag verbrachten sie dann

Weitere Kostenlose Bücher