Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
es nicht um den Raub von Weihnachtsgeschenken. Das ist alles, wovon wir derzeit ausgehen können.«
»Und dann ist er umgelegt worden«, sagte Rooth.
»Von dem, mit dem er verabredet war, oder von einem anderen«, sagte Jung.
»Was ist mit dieser Figur, von der er sich das Auto geliehen hat ...«, fragte Bollmert.
»Den können wir wohl abschreiben«, sagte Reinhart nach zwei Sekunden des Nachdenkens. »Er sitzt im Holtegefängnis, und unseres Wissens haben sie seit Monaten keinen Kontakt mehr zueinander gehabt. Und in der Zeit gab es auch keinen Hafturlaub.«
»Warum sitzt er?«, fragte Rooth.
»Wegen allerlei«, sagte Reinhart. »Raubüberfall und Menschenschmuggel, unter anderem. Illegaler Waffenbesitz. Vier Jahre. Bleiben ungefähr noch zweieinhalb.«
»Na gut«, sagte deBries. »Wir schreiben ihn ab. Sonst noch was? Ich habe Hunger, hab seit der vergangenen Woche nichts mehr gekriegt.«
»Geht mir auch so«, sagte Roth.
Reinhart legte die Pfeife in den Aschenbecher.
»Nur noch eins«, erklärte er dann mit ernster Miene. »Ich habe gestern mit dem Kommissar gesprochen und ihm zugesagt, dass wir diesen Fall lösen werden. Ich hoffe, allen ist klar, wie außergewöhnlich das hier ist? Wir müssen diese Sache aufklären. Wir müssen! Kapiert?«
Er schaute sich um.
»Wir sind keine Idioten«, erinnerte deBries. »Wie gesagt.«
»Wir schaffen das«, sagte Rooth.
Gut, so ein Team voller Selbstvertrauen zu haben, dachte Reinhart, ließ es aber auf sich beruhen.
Van Veeteren hielt an der Südwestecke des länglichen Platzes. Fröstelte und bohrte die Hände tiefer in die Manteltaschen. Schaute sich um. Noch am Samstag hatte er nicht gewusst, dass Erich hier wohnte — oder vielleicht hatte er es unbewusst doch geahnt? In diesem Herbst waren sie sich nur zweimal begegnet, einmal Anfang September, einmal vor kaum mehr als drei Wochen. Trotz allem ..., dachte er und peilte den Zigarettenautomaten an, trotz allem hatte er seinen Sohn bisweilen gesehen.
In letzter Zeit. Hatte ihn bei sich zu Hause empfangen, und sie hatten wie zivilisierte Menschen miteinander gesprochen. Das schon. Etwas hatte sich angebahnt, unklar zwar, verschwommen und vage, natürlich, aber doch etwas ... Erich hatte auch von Marlene Frey erzählt, doch sie war nur eine namenlose junge Frau gewesen, soweit er sich erinnern konnte, und natürlich hatte er wohl auch ihre Adresse genannt, warum hätte er es nicht tun sollen? Nur konnte er sich nicht daran erinnern.
Hier wohnte er also ... oder hatte gewohnt. Fast mitten im Herzen der alten Stadt; in diesem heruntergekommenen Haus aus dem neunzehnten Jahrhundert, dessen verrußte Fassade er jetzt anstarrte. Dritter Stock, der vorletzte; das Fenster hinter dem winzigen Balkon mit dem verrosteten Geländer schimmerte schwach. Er wusste, dass sie zu Hause war und dass sie auf ihn wartete: die Lebensgefährtin seines toten Sohnes, die er noch nie gesehen hatte, und er wusste auch — mit einer plötzlichen und überwältigenden Klarheit —, dass er das hier nicht über sich bringen würde. Dass er es an diesem Tag nicht schaffen würde, an dieser Tür mit der abgeblätterten Farbe zu schellen.
Er schaute auf die Uhr. Es war gegen sechs, die Dunkelheit, die sich jetzt über die Stadt legte, kam ihm kalt und feindselig vor. Ein fremder Geruch von Schwefel oder Phosphor hing in der Luft. Er kannte diesen Geruch nicht, auf irgendeine Weise gehörte er nicht hierher. Er steckte sich eine Zigarette an, senkte den Blick, ob aus Schuldgefühlen oder einem anderen Grund, sei dahingestellt ... dann entdeckte er an der gegenüberliegenden Ecke des Platzes ein Café, das er ansteuerte, nachdem er seine Zigarette fertig geraucht hatte. Er setzte sich mit einem Dunkelbier ans Fenster, durch das man weder hinein- noch hinausschauen konnte. Stützte den Kopf auf die Hände und dachte zurück an diesen Tag.
An diesen Tag. Den dritten Tag, an dem er mit dem Wissen erwacht war, dass sein Sohn nicht mehr lebte.
Zuerst eine Stunde im Antiquariat, wo er Krantze die Situation erklärt hatte, woraufhin der Arbeitsplan für diese Woche geändert worden war. Er hatte nichts gegen den alten Krantze, doch mehr als Arbeitskollegen würden sie niemals werden. Bestimmt nicht, so war es nun einmal.
Danach war er noch einmal in die Gerichtsmedizin gegangen, diesmal in Gesellschaft von Renate und Jess. Er war vor der Tür stehen geblieben, während die beiden in die Kühlhalle gegangen waren. Einen toten Sohn
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