Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
nahm an, dass sie in jungen Jahren, als das Land noch Jugoslawien geheißen hatte, von dort hergekommen war.
»Sie haben Vera gut gekannt?«
»Sie war meine Lieblingskollegin.«
»Hatten Sie auch privat miteinander zu tun?«
Sie holte tief Luft und machte ein trauriges Gesicht. Das ließ sie noch schöner aussehen. Unter den hohen Wangenknochen gab es diese ganz schwachen Andeutungen von Schatten, bei denen Jung aus irgendwelchen Gründen immer weiche Knie bekam. Er biss sich in die Zunge und versuchte wieder zum Polizisten zu werden.
»Nicht sehr viel«, sagte sie. »Wir arbeiten erst seit einigen Monaten auf derselben Station. Seit August. Was ist mit ihr passiert? Ganz genau, meine ich.«
Sie drückte seine Hände, während sie auf die Antwort wartete. Jung zögerte.
»Sie ist erschlagen worden«, sagte er dann. »Wir wissen nicht, von wem.«
»Ermordet?«
»Ja, ermordet.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wir auch nicht. Aber so ist es eben.«
Sie schaute ihm aus der Entfernung von fünfzehn Zentimetern in die Augen.
»Warum?«, fragte sie. »Warum hätte jemand Vera umbringen wollen? Sie war so ein wunderbarer Mensch. Wie ist es passiert?«
Jung wich ihrem Blick aus und beschloss, ihr die Einzelheiten zu ersparen.
»Das ist noch ein wenig unklar«, sagte er. »Aber wir möchten mit allen sprechen, die sie gekannt haben. Ist Ihnen aufgefallen, ob sie in letzter Zeit in irgendeiner Hinsicht nervös gewirkt hat?«
Liljana Milovic dachte nach.
»Ich weiß nicht, aber während der letzten Tage, vielleicht ... am Freitag war sie ein wenig ... ja, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ein wenig bedrückt.«
»Also haben Sie am Freitag mit ihr gesprochen?«
»Nicht viel. Ich habe nicht gleich darüber nachgedacht, aber jetzt, wo Sie danach fragen, weiß ich wieder, dass sie nicht so fröhlich zu sein schien wie sonst.«
»Aber Sie haben nicht darüber gesprochen.«
»Nein. Wir hatten so viel zu tun, wir hatten keine Zeit. Ach, wenn ich doch bloß gewusst hätte ...«
Wieder strömten ihre Tränen, und sie putzte sich die Nase. Jung betrachtete sie und dachte, wenn er seine Maureen nicht
hätte, dann würde er Liljana Milovic gern zum Essen einladen. Oder ins Kino. Oder zu was auch immer.
»Wo ist sie jetzt?«, fragte sein Gegenüber.
»Jetzt?«, wiederholte Jung. »Ach, Sie meinen ... sie ist in der Gerichtsmedizin. Derzeit werden Untersuchungen vorgenommen. . .«
»Und ihr Mann?«
»Ihr Mann, ja«, sagte Jung. »Haben Sie den auch gekannt?«
Sie schaute die Tischplatte an.
»Nein. Gar nicht. Ich bin ihm nie begegnet.«
»Sind Sie selber verheiratet?«, fragte er und dachte daran, was er vor kurzem in einer von Maureens Illustrierten über Freudsche Fehlleistungen gelesen hatte.
»Nein.« Sie lachte kurz. »Aber ich habe einen Freund.«
Der ist bestimmt nicht gut genug für dich, dachte Jung.
»Hat sie oft von ihrem Mann gesprochen? Wie die Ehe so lief und überhaupt?«
Sie zögerte kurz.
»Nein«, sagte sie dann. »Nicht sehr oft. Ich glaube, das lief so nicht gut.«
Es war das erste Mal, dass sie die Wörter durcheinander warf, und er fragte sich, ob das irgendetwas zu bedeuten hatte.
»Ach?«, fragte er abwartend.
»Aber sie hat mir nichts darüber erzählt. Sie hat nur gesagt, dass es nicht immer so gut lief. Wenn Sie verstehen?«
Jung nickte und nahm an, dass er verstand.
»Aber Sie haben nicht über ... Privatangelegenheiten gesprochen?«
»Manchmal schon.«
»Sie glauben nicht, dass sie sich für einen anderen Mann interessiert hat? Dass sie vielleicht eine Beziehung zu irgendwem hatte?«
Liljana Milovic dachte lange nach, dann sagte sie:
»Vielleicht. Doch, das hatte sie vielleicht. In letzter Zeit, da war etwas.«
»Aber erzählt hat sie nichts?«
»Nein.«
»Und Sie wissen nicht, wer dieser Mann sein könnte?«
Liljana Milovic schüttelte den Kopf und brach wieder in Tränen aus.
»Die Beerdigung«, sagte sie. »Wann ist die Beerdigung?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Jung. »Das steht sicher noch nicht fest. Aber ich sage Ihnen ganz bestimmt Bescheid, sowie ich es erfahre.«
»Danke«, sagte sie und lächelte unter Tränen. »Sie sind ein wunderbarer Polizist.«
Jung schluckte zweimal und wusste plötzlich nicht mehr, was er sagen sollte.
21
Am Sonntagabend schlief er bis acht Uhr.
Als er erwachte, hatte er als Erstes das Gefühl, in seinem Kopf sei etwas zerbrochen. Sei im Moment des Entstehens der Welt in Stücke gegangen. Er hatte von Billardkugeln
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