Der unglueckliche Moerder - Roman - Ausgezeichnet mit dem Skandinavischen Krimipreis
nicht sehr viel war. Trotzdem stand er oft hier, im Laufe der Jahre war ihm das zur Gewohnheit geworden. Ab und zu im Erker zu stehen.
Gleich darauf dankte er seinem Glücksstern. Dafür, dass er eine Minute gewartet hatte, nachdem der mörderische Arzt in seinem funkelnden Auto vorübergefahren war.
Er kam zurück. Der Doktor kam zurückspaziert. Ging zum Kiosk und kaufte sich eine Zeitung. Das tat er sonst nie. Normalerweise jedenfalls nicht.
Aron Keller wartete weiter. So unbeweglich wie der Hibiskus.
Sah, wie der Audi zurücksetzte und danach rückwärts wieder auf die Auffahrt fuhr. Dann stieg der Arzt aus, ging ins Haus und holte etwas, das Keller nicht erkennen konnte. Kam zurück und setzte sich wieder hinters Lenkrad. Blieb vor seinem Haus im Auto sitzen. Keller spürte, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach. Nach nur einigen Minuten stieg der Arzt wieder aus und ging noch einmal zum Kiosk. Vor Kellers Haus verlangsamte er seine Schritte und sah sich den Roller an. Ging dann zum Kiosk. Kaufte etwas, das in eine braune Papiertüte gesteckt wurde, und kam abermals zurück. Keller trat zwei Schritt zurück ins Zimmer, als der andere draußen vorüberging. Nahm dann seine Position im Erker wieder ein und beobachtete, wie der Arzt sich wieder ins Auto setzte.
Und sitzen blieb. Minute für Minute. Saß einfach da hinter dem Lenkrad und tat nichts.
Verdammt, dachte Keller. Er weiß es. Der Arsch weiß es.
Als er eine ganze Weile später an Nummer siebzehn vorüberging, saß der Arzt noch immer im Auto. Das war die endgültige Bestätigung. Keller marschierte an der Reihenhauszeile vorbei und kehrte dann auf der Rückseite zurück in seine eigene Wohnung. Holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und leerte es in drei Zügen. Stellte sich dann in den Erker. Der Audi vor Nummer siebzehn war leer. Die Sonne war untergegangen.
Aber eines weiß er nicht, dachte er. Der Mordarzt weiß nicht, dass ich weiß, dass er weiß. Ich bin ihm einen Schritt voraus. Habe immer noch die Kontrolle.
V
29
Wenn man es rein quantitativ betrachtet, dachte Kommissar Reinhart gegen elf Uhr am Samstagvormittag während einer kurzen Rauchpause, brauchen wir uns für unsere Leistungen nicht zu schämen.
Dieser Gedanke hatte unbestreitbar etwas für sich. Nach dem Gespräch mit Edita Fischer war die Anzahl der zu verhörenden Ärzte auf einmal so groß, dass sowohl Rooth als auch deBries und Assistent Bollmert sofort hinzugezogen wurden. Natürlich betrachtete Reinhart (wenn er ehrlich sein sollte) die ganze Prozedur als eine Art Strohhalm, aber da sie keinen anderen hatten (und da Polizeipräsident Hiller unbegrenzte Mittel zugesagt hatte), mussten sie es damit versuchen. Niemand nannte die Operation noch »Rooths Hypothese« — Rooth selber schon gar nicht —, seitdem klar war, dass sie das ganze Wochenende durcharbeiten mussten.
Das Neue Rumfordkrankenhaus war etwas kleiner als das Gemeinde, aber es hatte immer noch einhundertzwei Ärzte und Ärztinnen aufzuweisen, und darunter waren neunundsechzig Ärzte. Und hier konnten sie nicht auf das alte Deckmäntelchen zurückgreifen, dass sie sich nur einen Eindruck von der ermordeten Krankenschwester Vera Miller machen wollten. Unter anderem aus dem einfachen Grund, dass niemand im Rumford einen Eindruck haben konnte.
Abgesehen möglicherweise vom Mörder selber, wie deBries sehr richtig anmerkte, aber der würde bestimmt keine Lust haben,
auf ein paar nette Fragen hin sein Herz auszuschütten. Darüber war sich die gesamte Ermittlungsleitung einig.
Reinhart beschloss deshalb, mit offenen Karten zu spielen. Es gab Hinweise darauf, dass Vera Miller mit einem Arzt aus einem der beiden Krankenhäuser ein Verhältnis gehabt hatte. War irgendetwas darüber bekannt? Hatte irgendjemand etwas gehört? Konnte irgendwer Spekulationen oder Vermutungen liefern?
Letzteres bewegte sich vielleicht am Rand des Anstandes, aber sei’s drum, fand Reinhart. Wenn zweihundert Leute Vermutungen äußern sollen, dann muss irgendwer doch richtig vermuten.
Ganz zu schweigen davon, wenn mehrere dieselbe Vermutung hegen.
Inspektor Jung hatte diese Art von Massenverhören noch nie zu seinen Lieblingsaufgaben gezählt (informelle Gespräche wie das mit Schwester Liljana lagen ihm irgendwie mehr), und als er Rooth nachmittags während einer wohl verdienten Kaffeepause in der Kantine traf, dankte er ihm ganz bewusst für die anregende Wochenendarbeit.
»Schade, dass du dich gerade auf Ärzte eingeschossen
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