Der Ungnädige
Feingefühl zugetraut hätte, musterte mein Gesicht interessiert und bemerkte: » Farblich sehr interessant. «
» Wird mit der Zeit blasser. «
» Klar. « Sie neigte den Kopf und begutachtete mich eingehend. » Steht dir irgendwie. «
» Oh, danke schön. «
In diesem Moment betrat Godley in Begleitung einer Dame mittleren Alters den Raum, die ausgesprochen resolut wirkte. Sie trug einen schwarzen, etwas zu knapp sitzenden Hosenanzug und hatte einen braunen Aktendeckel unter dem Arm. Wie bei einer Schulklasse im Teenageralter kehrte im Raum nur schleppend Ruhe ein, und immer noch kamen Leute hinzu und setzten sich.
» So, können wir anfangen? Gut. « Godley stand vor uns. Im grellen Licht der summenden Leuchtstoffröhren an der Decke glänzten seine Haare silbern. » Das ist Marla Redmond von der Kripo Brixton. Sie wird uns gleich über die laufenden Ermittlungen im Fall des am Samstag verschwundenen jungen Mädchens informieren. Die meisten von Ihnen werden schon wissen, dass wir John Skinner verhaftet haben. Bei dem genannten Mädchen handelt es sich um seine Tochter. «
Ein gedämpftes Murmeln ging durch den Raum, während DCI Redmond Godleys Platz einnahm und sich kurz sammelte. Sie sah angespannt aus, war sehr blass und komplett ungeschminkt.
» Ja, wir suchen nach Cheyenne Skinner, einem 14-jährigen Mädchen aus Hoddesdon in Hertfordshire. « Sie schlug den Aktendeckel auf und nahm ein Schulfoto heraus, das ein Mädchen in Schuluniform zeigte. Damit es jeder sehen konnte, hielt sie das Bild hoch und gab es anschließend Liv, damit sie es herumreichte. Als ich es bekam, schaute ich es mir aufmerksam an. Als Erstes fielen mir an dem Mädchen die sorgfältig zu einem Bogen gezupften Augenbrauen auf und das honigblonde Haar, welches für das Foto zu üppigen Locken toupiert worden war. Cheyenne hatte schwere Augenlider, volle Lippen und eine ausgeprägte Stupsnase. Ihren Blazer zierte ein aufgesticktes Wappen mit dem Schriftzug » Our Lady Queen of Heaven RC Girls School « . Diese Schule war offensichtlich liberaler als die Einrichtung, die ich früher besucht hatte– die dortigen Nonnen hätten mir nicht halb so viel Mascara und Lipgloss durchgehen lassen, wie Cheyenne aufgetragen hatte. Im eigentlichen Sinn hübsch war das Mädchen nicht, trotzdem hatte es etwas Attraktives an sich– ein besonderer Glanz funkelte in den dunkel umrandeten Augen. Auf jeden Fall wirkte das Mädchen deutlich älter als 14.
» Cheyenne ist spurlos verschwunden, seit sie am Samstagabend ihr Zuhause verlassen hat. Sie wollte einen sogenannten Pop-up-Nachtclub besuchen, der sich in einem Lagerhaus an der Coldharbour Lane befand. «
» Einen was? « , fragte Colin Vale erstaunt nach.
» Das sind Clubs, die nur für einen einzigen Abend in leer stehenden Gebäuden eingerichtet werden. Es gab Beleuchtung, Tontechnik und eine Art Bar. Alles wurde über Generatoren mit Strom versorgt. Die ganze Sache war natürlich illegal. Die Organisatoren hatten keine Schanklizenz, was sie auch zugegeben haben. Das Lagerhaus befindet sich in einem Gewerbegebiet ohne Wohnbebauung. Es liegen daher auch keinerlei Beschwerden wegen Lärmbelästigung vor. Die ganze Sache ist erst aufgeflogen, nachdem das Mädchen verschwunden ist. «
» Und wie hat sie von diesem Club erfahren? «
» Sie wurde von einem Bekannten aus dem Internet dazu eingeladen. Wer diese Person ist, konnten wir noch nicht ermitteln, obwohl wir natürlich fieberhaft daran arbeiten, wie Sie sich denken können. Das für die Verabredung verwendete Mailkonto wurde offenbar wieder abgemeldet, und Cheyenne hat so gut wie alle Nachrichten auf ihrem Computer gelöscht– vermutlich wurde sie dazu gezielt aufgefordert. Wir wissen von der Existenz dieser Person nur aus einer Nachricht, die Cheyenne an ihre Freundinnen weitergeleitet hat, um damit anzugeben. «
Ich ließ meinen Blick durch den Raum in Derwents Richtung schweifen. Als er zu mir sah, formte ich mit den Lippen lautlos: » Forgrave? «
Er zuckte die Schultern, sah aber sehr nachdenklich aus.
» Wurde sie gezielt als Opfer aufgebaut? « , wollte Colin Vale wissen.
» Sieht ganz danach aus. Ich habe die fragliche Nachricht an die Experten für Kindesmissbrauch und Online-Kriminalität geschickt, die bestätigt haben, dass sämtliche Kriterien in dieser Richtung erfüllt sind. Der Tonfall ist schmeichlerisch, es gibt Kommentare über ihr Aussehen, ihren Kleidungsstil und so weiter. Und der Verfasser, der sich Kyle
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