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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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ein Motor an, und ich stellte ihn mir vor, wie er im Auto saß und davonfuhr. Er hatte Recht: Das war es, was ich gewollt hatte. Ich war frei.
    Es fühlte sich nur ganz schrecklich einsam an.

12
    Freitag
    Am nächsten Morgen um halb acht war ich wieder im Krankenhaus– diesmal allerdings nicht als Patientin, sondern als Besucherin. Trotzdem hätte ich ein bisschen medizinische Betreuung auch selbst gut gebrauchen können, da ich unglaubliche Kopfschmerzen hatte, gegen die kein Schmerzmittel half. Meine Augenlider waren so schwer, als hätte ich die ganze Nacht kein Auge zugetan. Ich nahm den Fahrstuhl in die fünfte Etage und riskierte nur einen flüchtigen Blick in den Spiegel, der mir bestätigte, dass ich genauso bleich und mitgenommen aussah, wie ich mich fühlte.
    Als sich die Fahrstuhltür öffnete, hastete ich hinaus und stieß erst einmal mit Derwent zusammen, der im Korridor auf und ab gelaufen war.
    » Wie sehen Sie denn aus? Sind Sie unterwegs überrollt worden? «
    » Na, schönen Dank auch. Erinnern Sie sich noch, wie der Chef zu mir gesagt hat, dass ich es heute Morgen ruhig angehen soll? Eigentlich dürfte ich nicht mal hier sein. «
    » Wenn Sie lieber im Bett geblieben wären, hätten Sie es ja sagen können. «
    » Ganz offensichtlich wollte ich das nicht. Aber unter solchen Umständen können Sie keinen Vogue- verdächtigen Glamour erwarten. «
    » So hoch brauchen Sie die Latte nicht zu hängen. Versuchen Sie es einfach mit einer halbwegs menschlichen Optik, das würde schon reichen. «
    Ich verkniff mir den Hinweis darauf, dass er selbst auch nicht unbedingt Modelqualitäten hatte. » Wo müssen wir hin? «
    » Forgrave liegt in Zimmer 422. « Derwent setzte sich in Bewegung, und ich heftete mich an seine Fersen.
    » Allein? «
    » Ja, Einzelzimmer. Für unseren William nur das Beste. Außerdem können wir ihn so besser bewachen. «
    » Denken Sie wirklich, Skinner würde sich noch mal an ihm vergreifen? «
    Er zuckte die Schultern. » Na ja, lieber auf Nummer sicher gehen. Wenn John Skinner in Haft sitzt, hat das ja nicht den leisesten Einfluss auf das, was draußen so passiert. Wenn er ihn umlegen will, dann erledigt das halt jemand anders für ihn. «
    » Tolle Aussichten. «
    » Das erzähle ich Mr. Forgrave natürlich nicht. Aber ein großer Verlust wäre er wahrscheinlich nicht. «
    Inzwischen waren wir vor Zimmer 422 angekommen. Ungeduldig wartete Derwent, bis der davor postierte uniformierte Beamte unsere Dienstausweise kontrolliert hatte.
    » Alles klar? «
    » Na dann, Hals- und Beinbruch. «
    Wahrscheinlich hätte ich das als ganz beiläufige Bemerkung aufgefasst, wenn der Beamte dabei nicht die Beule an meinem Kopf so angestarrt hätte. Das war die erste Stichelei des Tages, aber bei der würde es garantiert nicht bleiben. Düster gestimmt folgte ich Derwent in Forgraves Krankenzimmer. Es war mir egal, ob man mir meine schlechte Laune ansah oder nicht.
    Was sich in William Forgraves Miene spiegelte, war zwischen Bart und Blessuren nur schwer zu erkennen. Die Augen waren so geschwollen, dass sie nur noch Schlitze bildeten, während die Haut ringsum farblich an reife Pflaumen erinnerte. Seine Lippe war mit mehreren Stichen geflickt worden und sah aus, als ob sie sehr schmerzte. Die eine Wange war so geschwollen, dass sein ganzes Gesicht schief wirkte. Sein freier Oberkörper war bandagiert. Dadurch waren die Brandwunden, die ich am Tag zuvor gesehen hatte, gnädigerweise verdeckt.
    » Na, wie läuft’s, William? « Derwent nahm die Krankenakte vom Fußende des Bettes, überflog sie kurz und gab einen Pfiff von sich. » Ich spreche zwar kein Medizinisch, aber das sieht böse aus. «
    » Wer sind Sie denn? « , fragte Forgrave heiser.
    » Polizei. Wir sind die, die Ihren Arsch gerettet haben. « Derwent setzte sich auf die Bettkante und ließ einen Fuß locker baumeln. Ich nahm auf dem Stuhl Platz, der neben dem Bett stand, zog ihn allerdings vorher ein gutes Stück zurück, damit ich Forgrave nicht so nahe kam. Er roch nach Schweiß und geronnenem Blut, und sein Atem war alles andere als frisch. Derwent war das offensichtlich egal, denn er beugte sich zu ihm hinunter und sagte: » Wissen Sie noch, als die Truppen gestern aufmarschiert sind? Die haben wir gerufen. «
    Streng genommen war ich das gewesen. Aber ich verzichtete darauf, um Anerkennung zu betteln. Das war’s nicht wert.
    » Danke. « Besonders beeindruckt klang er nicht.
    » Mehr haben Sie nicht zu sagen? « Derwent

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