Der Ungnädige
mich darum, mich etwas angemessener zu verabschieden, als er es getan hatte. Anschließend traf ich ihn in der Küche an, wo er mit Graham Gordon redete, der sorgsam und bedächtig ein paar Tassen spülte. Er war groß, hatte sehr lichtes Haar und einen notorisch mürrischen Blick. In glücklicheren Tagen lag darin vermutlich ein gewisser Humor, aber im Moment stand ihm danach bestimmt nicht der Sinn.
Derwent war offensichtlich zu dem Schluss gekommen, dass Gordon nicht unbedingt mit Samthandschuhen angefasst werden musste.
» Kennen Sie jemanden, der dazu fähig wäre, Ihren Schwager zu foltern und umzubringen? «
Er zuckte die Schultern. » Nein, niemanden. «
Die Wohnzimmertür klappte, und kurz darauf hörte ich Vera die Treppe nach oben gehen, dahin, wo dumpfes Gepolter auf spielende Kinder hindeutete.
» Ihre Frau sieht das aber anders. Ihrer Ansicht nach gab es eine Menge Leute, die ihn lieber tot als lebendig sehen wollten. «
» Kann sein. Aber die kenne ich nicht. Sie haben mich gefragt, ob ich jemanden davon kenne. Und das ist nicht der Fall. «
» Sie nehmen’s also gern wörtlich « , gab Derwent mit einem angedeuteten Lächeln zurück. » Da muss ich mich wohl ein bisschen deutlicher ausdrücken. «
» Drücken Sie sich aus, wie Sie wollen. Ich weiß jedenfalls von nichts und Vera auch nicht. Barry war nicht besonders gesprächig. Falls er bedroht wurde, hat er Vera bestimmt nichts davon gesagt, weil sie sich dann Sorgen gemacht hätte. Und mit mir hat er kaum ein Wort gewechselt. « Er fischte im Spülwasser herum und förderte eine Ladung Kaffeelöffel zutage, die er auf das Abtropfgitter warf.
» Ich dachte, Sie beide hätten sich gut verstanden? «
» Haben wir auch. Aber er war halt ein schweigsamer Typ und hat nur geredet, wenn es auch was zu sagen gab. « Er zog den Stöpsel aus dem Spülbecken. Das Wasser lief mit gurgelnden Geräuschen in den Abfluss. Nach Gordons Blick zu urteilen, war es ihm nicht ganz unrecht gewesen, dass sein Schwager so verschlossen war. Derwent machte einen Schritt auf ihn zu, sodass Gordon zurückwich, vom Herd jedoch gebremst wurde und daher nicht weiter auf Abstand gehen konnte.
» Aber Sie können ihm in seiner Art doch unmöglich über den Weg getraut haben. Wollten Sie ihn allen Ernstes ins Haus holen, oder haben Sie das nur so dahingesagt, damit Ihre Frau Ruhe gibt? «
» Es wäre mir recht gewesen. «
» Allen Ernstes? Es wäre Ihnen recht gewesen, wenn er mit Ihrer Tochter allein gewesen wäre? Oder gar mit Ihrem Sohn? Menschen verändern sich im Gefängnis, Graham. Da wird schon mal was ausprobiert. Vielleicht hatte Barry ja eine Vorliebe für kleine Jungs entwickelt? Hätten Sie ihm tatsächlich mit ruhigem Gewissen den Rücken zugekehrt? «
» Ich hatte nichts gegen Barry. « Seine Stimme war tonlos, seine Miene wie versteinert. Er griff nach einem Geschirrtuch und trocknete sich ohne Eile die Hände ab. » Ich kannte ihn schon sehr lange– bevor das alles passiert ist. Immer wenn ich es einrichten konnte, bin ich zu den Gerichtsterminen gegangen. Ich habe die Zeugenaussagen gehört– im Gegensatz zu Ihnen. «
Derwent blieb einen Augenblick reglos stehen und sinnierte mit zusammengekniffenen Augen über das, was Gordon gesagt hatte. Dann wippte er auf den Füßen und lachte. » Ich wollte Sie nur mal ein bisschen provozieren. Um zu hören, was Sie wirklich über ihn denken. «
» Tja, jetzt wissen Sie es « , entgegnete Gordon und warf sich das Handtuch über die Schulter. » Und wo die Tür ist, wissen Sie auch. Sie finden den Weg? «
Derwent machte Anstalten zu gehen, drehte sich aber noch einmal um. » Ganz im Ernst– wie oft haben Ihre Kinder Onkel Barry eigentlich zu Gesicht bekommen? «
Gordon blähte die Nasenflügel und lief tiefrot an. » Sie werden nicht mit meinen Kindern reden. Das kommt, verdammt noch mal, nicht in Frage. «
» Also nicht allzu oft, was? Nur keine falschen Schamgefühle. Ich wäre an Ihrer Stelle auch nicht sonderlich scharf auf seine Anwesenheit gewesen. «
Es sah aus, als wollte Gordon gleich auf Derwent losgehen. Obwohl ich es nur allzu gern gesehen hätte, wenn jemand dem Inspector mal ordentlich eine verpasst hätte, wollte ich Veras Mann an dem Tag, an dem man ihren Bruder ermordet aufgefunden hatte, auf keinen Fall wegen Gewalt gegenüber einem Polizeibeamten verhaften müssen. Entschlossen stellte ich mich ihm in den Weg.
» Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Mr. Gordon. Sir,
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