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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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ihn für schrullig und gemeingefährlich und haben sich von ihm ferngehalten. « Sie schnäuzte sich wieder und rieb sich dann die Knie, als würde ihr davon wärmer. » Die beiden Gören haben schulfrei gekriegt, damit sie zu einer Beratungsstelle und zur Polizei gehen konnten– das war wahrscheinlich der eigentliche Grund. Das waren zwei kleine Schlampen, das konnte man schon an ihren Aussagen erkennen. Alles lief per Videoschaltung, damit sie nicht vor Gericht erscheinen mussten. Sie hatten eine große Klappe vor den Anwälten und dem Richter, als wäre das alles nur ein Spiel. Sie haben gelogen, und alle wussten es, aber die Geschworenen haben ihn trotzdem schuldig gesprochen. Die eine war elf, die andere zehn, aber in Sachen Sex kannten sie sich bestens aus und konnten alles haarklein beschreiben. Es war klar, dass sie das alles selbst ausprobiert hatten, und zwar mehr als einmal. Allerdings ganz bestimmt nicht mit meinem Bruder. « Langsam ließ ihre Entrüstung nach, und sie seufzte. » Niemand wollte glauben, dass Mädchen schon so jung ihre Unschuld verloren hatten. Dabei war Barry viel unschuldiger als sie, obwohl er dreimal so alt war wie sie. «
    » Trotzdem hat er keine Berufung eingelegt, sondern seine Strafe abgesessen. «
    » Er hätte es nicht ertragen, noch einmal vor Gericht zu stehen. Er hat furchtbar darunter gelitten. Außerdem hat ihm sein Anwalt klargemacht, dass er keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Dass er unschuldig war, reichte offenbar nicht aus. « Sie zupfte kleine Stückchen vom Rand des Papiertaschentuchs ab, das sie in der Hand hielt. » Sieben Jahre hat er gesessen. Und sich nie beklagt. Er war jedes Mal dankbar, wenn wir ihn besucht haben, und hat sich immer erkundigt, wie es uns geht. Wie es für ihn im Gefängnis war, darüber hat er nie gesprochen. Unser Leben wäre doch viel interessanter, hat er gemeint und uns zu verstehen gegeben, dass er nicht über seins reden will. «
    Mit sanfter Stimme und behutsamer, als ich ihm zugetraut hätte, warf Derwent ein: » Der Bewährungshelfer hatte Barry gewarnt, was seine Sicherheit anging. Die Rückkehr in sein Elternhaus war nicht ganz ungefährlich, weil er ja in dieser Gegend als Sexualstraftäter bekannt war. Obwohl Sie ganz sicher sind, dass er zu Unrecht verurteilt wurde, haben Sie ihm trotzdem nicht angeboten, hier bei Ihnen zu wohnen. «
    Noch ehe Derwent den Satz beendet hatte, schüttelte sie den Kopf. » Doch, das habe ich. Das habe ich sehr wohl. Aber er wollte nicht. Barry wusste, dass Graham ein Problem damit hatte– nicht wegen der Kinder, sondern wegen der Nachbarn. Wenn die das erfahren hätten, dann hätten wir umziehen müssen. Wir hatten ja schon genug Angst, jemand könnte herausfinden, dass wir mit ihm verwandt sind. Ich habe ihn nicht halb so oft besucht, wie ich wollte, weil ich ständig befürchtet habe, dass jemandem auffällt, wohin ich gehe und warum. Graham mochte Barry. Er wollte nicht, dass ihm etwas passiert, und deshalb hat er eingewilligt, dass er zu uns zieht– zumindest eine Zeitlang, bis er sich wieder gefangen hat. Aber Barry wollte davon nichts hören. «
    » Wusste er denn, dass er in Gefahr war? Hat er Ihnen erzählt, dass er sich bedroht fühlt? «
    » Er hat nie darüber gesprochen. Er hat nur gesagt, dass er nicht weiß, wer ihn bedroht. Es hätte ja praktisch jeder sein können. « Sie lachte erbittert auf. » Schlimm, oder? So viele Leute haben meinem Bruder den Tod gewünscht. Dabei konnte er keiner Fliege was zuleide tun. «
    » Also haben Sie keinen bestimmten Verdacht? «
    » Nein. Barry– er war so tapfer. Vielleicht halten Sie ihn für minderbemittelt, aber er hat nie aufgegeben. Er ist nur rausgegangen, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und blieb ansonsten für sich. Er wollte doch keinem etwas Böses, und nun ist er tot… « Sie weinte wieder.
    » Kennen Sie einen Mann namens Ivan Tremlett, Mrs. Gordon? «
    Sichtlich verwundert über diese Frage schüttelte sie den Kopf.
    Mit großer Geste steckte Derwent seinen Stift in die Innentasche seines Jacketts und klappte den Ordner zu. » Gut. Vielen Dank, Mrs. Gordon. « Er legte eine Karte auf den Sofatisch und stand auf. » Rufen Sie uns bitte an, falls Ihnen noch etwas einfällt. «
    Ich bezweifelte, dass sie das gehört hatte, aber als der Inspector den Raum verließ, hielt ich es für angeraten, ihm zu folgen. Nach ein paar gemurmelten Beileidsbekundungen platzierte ich meine eigene Karte neben der von Derwent und bemühte

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