Der Ungnädige
falschen Zeit am falschen Ort sein musste. Dann hatte ich bei einem Verdächtigen komplett danebengelegen und dadurch fast die Festnahme des wahren Mörders vergeigt. Nicht unbedingt die Sternstunden meiner bisherigen Karriere.
» Er meint, Sie hätten Mut und eine starke Intuition. Außerdem würden Sie einiges investieren, um jemanden zu finden, der hinter Schloss und Riegel gehört. « Derwent sah mich prüfend an, ob mich das verlegen machte. » Er hat erzählt, dass Sie demnächst ausgezeichnet werden wegen so ’ner Sache im letzten Jahr. Sie hätten da wohl irgendwem das Leben gerettet. «
» Purer Zufall. Nichts, worauf man stolz sein müsste. «
» Genau diese Reaktion hat er vorhergesagt. «
» Ach ja? «
» Er wollte mir wahrscheinlich klarmachen, weshalb er Sie in diesem Fall dabeihaben will. «
» Und zwar? «
» Sind nicht unbedingt angenehme Opfer, mit denen wir es gerade zu tun haben. Vorbestrafte Kriminelle. Und nicht nur irgendwelche, sondern der letzte Abschaum, Perverse. Es gibt jede Menge Kollegen, die sich kein Bein rausreißen würden, um einen Pädo-Killer aufzuspüren. Sie würden eher innerlich applaudieren, dass da endlich mal einer richtig durchgreift. Aber dafür sind Sie viel zu sensibel. Ich hab Sie in Palmers Haus beobachtet. Hat Sie ziemlich mitgenommen, was die mit ihm angestellt haben. «
» Das ging doch allen so, oder? «
» Na ja, da schwang viel Erleichterung mit, weil sie persönlich damit nichts zu tun hatten. Aber Sie haben sich vorgestellt, was er für ein Leben geführt hat und wie es ihm ging, als die über ihn hergefallen sind. Das beschäftigt Sie. «
Die letzten drei Worte sprach er so süffisant aus, dass ich unwillkürlich rot anlief. Aber als er meine Reaktion registriert hatte, war er offenbar zufrieden.
» Ich mach doch nur Witze. Ist schon okay, wenn man sich in die Lage des Opfers hineinversetzen kann, selbst wenn das Opfer ein widerlicher vorbestrafter Pädo über 40 ist. «
» Lassen Sie mich hier mal was klarstellen, ja? Ich bin nicht irgendwie anders als andere Kollegen und bestimmt kein Fan von Pädophilen. Aber nach der Aussage der Schwester zu urteilen, hatte Palmer wahrscheinlich autistische Züge, ohne dass es jemals offiziell festgestellt wurde. Er war eine ideale Zielscheibe für allerlei krude Vorwürfe. So was zu entkräften ist schwer, selbst wenn man einigermaßen wortgewandt und lebenstüchtig ist– was laut Palmers Schwester bei ihm ganz bestimmt nicht der Fall war. «
» Ja, der arme Kerl hatte kaum eine Chance. «
» Vera ist sich ziemlich sicher, dass er unschuldig war. Trotzdem wurde er verurteilt. Sie wissen mehr über ihn als ich. Was ist dran an der Sache? «
» Ich hab vorhin noch kurz mit dem Kollegen geredet, der damals den Fall bearbeitet hat « , brummte er. » Das Ganze war total fadenscheinig. Okay, Palmer wurde verurteilt, aber als der Prozess lief, tobte gerade eine Riesenhysterie gegen Pädophile, weil kurz davor ein kleines Mädchen aus Lancashire von einem Nachbarn vergewaltigt und getötet wurde. Die Geschworenen haben damals im Prinzip jeden verurteilt, der wegen Sexualdelikten angeklagt wurde– egal, wie dünn die Beweislage war, und die Urteile fielen saftig aus…tja, die Richter hatten natürlich keine Lust, auf den Titelseiten der Boulevardzeitungen zu landen, weil sie angeblich nicht hart genug durchgreifen. Deshalb hatten Schuldsprüche in dieser Zeit absolute Hochkonjunktur. «
» Aber wieso wurde überhaupt Anklage erhoben, wenn der Fall so fadenscheinig war? «
» Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht getraut, das Verfahren einzustellen. Es war ein reines Politikum– keiner wollte es auf sich nehmen, den angeblichen Opfern nachzuweisen, dass sie lügen, und so wurde der Fall bis zum Crown Court durchgereicht. Die beiden Mädchen haben zwei völlig verschiedene Storys aufgetischt, obwohl sie ja ausgesagt hatten, dass sie zusammen missbraucht wurden. Ihre Beschreibungen änderten sich andauernd, selbst bei der offiziellen Zeugenaussage. Der Anklagevertreter hatte ganz schön zu tun, damit es am Ende so aussah, als ob ihre Darstellungen mit seinem Eröffnungsplädoyer übereinstimmten. «
» Und Palmers Anwalt hat es ihnen auch nicht sonderlich schwer gemacht. «
» Nee. Die waren viel zu jung für ein Kreuzverhör, und das wäre auch bei den Geschworenen gar nicht gut angekommen. Sie haben es ja schon von Vera gehört, dass die Aussagen per Video eingespielt wurden. Schon mal im Gerichtssaal
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