Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
Vom Netzwerk:
Abend gerade gehen wollten.
    » Das war gestern « , bemerkte Liv.
    » Auf dem allerletzten Stand « , brachte ich hervor. Ich fühlte mich, als würden meine Füße nicht richtig auf dem Boden stehen. Das liegt am Schock, dachte ich. Am Schock und daran, dass mir so hundekalt ist.
    Undeutlich nahm ich wahr, wie jemand meine Hand ergriff, den Arm um mich legte und mich stützte, weil ich schwankte. Ich dachte, das sei Rob, doch als ich aufschaute, war es Derwent, der mir mit besorgter Miene aufmerksam ins Gesicht sah. Das verstörte mich noch mehr.
    » Wollen Sie sich hinsetzen? «
    » N-nein. Geht schon. «
    » Ganz sicher? «
    Statt einer Antwort schaute ich hinüber zu Rob, und die Tatsache, dass er so gelassen wie immer aussah, beruhigte mich. Schon interessiert, aber nicht besorgt. Vorsichtig löste ich Derwents Hand von meinem Arm, und irgendwo im Hinterkopf fragte ich mich, wieso ein einfacher Blick von Rob hilfreicher war als alles Tätscheln und Hätscheln von Derwent.
    » Das sieht mir nicht nach John Skinner aus. « In Godleys Stimme schwang etwas mit, das sich für mich wie Erleichterung anhörte.
    » Tja, wahrscheinlich bloß irgendein Spinner. Kein Grund zur Panik. « Ich lachte etwas zitterig. Niemand stimmte ein.
    » Er hat geschrieben, dass er ihr etwas schenkt. Was ist das Geschenk? « , fragte Liv.
    » Das Video? « Colin klickte darauf, der Bildschirm wurde dunkel, und die Datei wurde hochgeladen.
    Der Unterschied zwischen dem leeren Bildschirm und dem Anfang des Films war kaum wahrnehmbar, zunächst bemerkte ich gar nicht, dass er schon angefangen hatte. Das Licht war nicht gut, das Bild verschwamm bis zur Unkenntlichkeit und flackerte, bis es wieder einigermaßen scharf war. Die Kamera bewegte sich und zeigte uns eine niedrige Decke, einen beengten, leicht gewölbten Raum, der mich an irgendetwas erinnerte.
    » Das ist im hinteren Teil eines Lieferwagens « , sagte Rob, und Sekunden später erschien wie zur Bestätigung ein Radkasten am unteren Bildrand.
    » Was mag das da auf dem Boden sein? « , fragte Godley.
    » Eine Plane, würde ich sagen. « Colin beugte sich vor, um genauer hinzusehen, und ließ sich wieder gegen die Stuhllehne fallen, als der Bildschirm plötzlich grell aufleuchtete.
    » Großer Gott, das ist Cheyenne. « Derwent klang schockiert. Ich zwang mich, auf den Bildschirm zu sehen.
    Sie lag auf dem Boden, auf der Plane, der Rockteil ihres Kleids war an den Oberschenkeln nach oben gerutscht. Die Haare verdeckten ihr Gesicht.
    » Sind Sie sicher, dass sie das ist? « , fragte ich.
    » Absolut. «
    » Das ist das Kleid, das sie anhatte, als sie verschwand « , sagte Rob.
    » Was ist das? « Ich hörte, wie mir die Stimme versagte.
    » Das ist, was danach passiert ist. « Godley hatte sich umgesetzt, sodass er besser sehen konnte, und sein Gesicht war jetzt so dicht neben meinem, dass ich das Duschgel riechen konnte, das er am Morgen benutzt hatte. Meine Gedanken entzogen sich dem, was da vor mir ablief, und stürzten sich auf Ablenkungen wie ein springendes Reh. Ich biss mir in die Innenseite meiner Wange, bis ich etwas Metallisches schmeckte und der stechende Schmerz mich zurück in diesen Raum und zu meiner Arbeit rief. Zu dem Mädchen, das auf dem Boden lag, zu den Haaren über ihrem Gesicht und zu der Hand, die ins Bild kam, um die Haare beiseitezuschieben.
    » Ist sie tot? « , flüsterte Liv.
    » Nein. Man kann sehen, wie sich der Brustkorb hebt und senkt. « Derwent hatte den Blick keine Sekunde vom Bildschirm abgewandt. » Leichte Verletzungen. «
    Cheyenne bewegte sich, und an dieser Stelle setzte der Ton ein, grässlich laut nach der Stille, die bis dahin geherrscht hatte. Rascheln und Atemgeräusche hinter der Kamera, dann ein Lachen, als das Mädchen zu sich kam, sich aufsetzte und sich verwirrt umschaute. Sie war 14 Jahre alt und ganz allein mit jemandem, der ihr eindeutig nichts Gutes wollte, aber sie war eben auch John Skinners Tochter.
    Fasziniert beobachtete ich, wie sie sich sammelte, sich zu einer würdevolleren Position aufrichtete und sich allmählich der Situation stellte. Als sie sprach, tat sie das mit der Zuversicht von jemandem, der bislang aus jeder noch so misslichen Lage heil herausgekommen war, weil ihr brutaler, gefährlicher Daddy dafür gesorgt hatte.
    » Du sitzt ja so dermaßen im Dreck. «
    Dann wurde der Bildschirm wieder schwarz.
    Ich entließ die Luft aus meinen ächzenden Lungen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich den Atem angehalten

Weitere Kostenlose Bücher