Der Ungnädige
unmöglich, eine Lücke zu finden. Im Schneckentempo schob er sich an den dicht aufgereihten Fahrzeugen vorbei und hielt Ausschau nach freien Fleckchen dazwischen, stieß aber nur auf gelbe Doppellinien und Ladezonen. Da fuhr hundert Meter vor uns ein Lieferwagen los, und Derwent gab Gas, damit kein anderer uns die Parklücke wegschnappte. Ich beschloss, kein Wort in Sachen Schleudertrauma zu verlieren, da ich sowieso nicht von Mitgefühl ausgehen konnte. Während er einparkte, schaute ich zur anderen Straßenseite. Zufällig standen wir fast gegenüber vom Waschsalon. Er war zentral gelegen in der Zeile aus heruntergekommenen Geschäften mit Wohnungen oder Büros darüber. Eigentlich waren es viktorianische, rote Ziegelhäuser, aber eine Modernisierung in den Achtzigerjahren hatte dem Waschsalon eine blaue, mit Seifenblasen dekorierte Plastikfront beschert. Das große Glasfenster war so beschlagen, dass ich kaum die Umrisse der Waschmaschinen erkennen konnte. Mir war klar, dass von da drinnen niemand etwas Ungewöhnliches auf der Straße oder in den darüber liegenden Büros bemerkt haben konnte. Nicht mal dann, wenn es irgendwen interessiert hätte.
Mein Blick wanderte nach oben zu den drei Fenstern im ersten Stock. Dahinter lagen die Räume, in denen Ivan Tremlett zu Tode gefoltert worden war und die von außen betrachtet nicht das Geringste preisgaben. Erst bei näherem Hinsehen deutete manches auf die laufenden Ermittlungen hin. Die Fenster waren mit Papier provisorisch verhängt, und die Tür war mit Polizei-Absperrband versperrt. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit jedoch schon beendet, und alles war ruhig. Es gab keinerlei Anzeichen für Polizeipräsenz, von Derwent und mir mal abgesehen. Offenbar interessierte sich auch sonst niemand für das Gebäude oder das, was darin vorgefallen war. Tremletts Leben und Tod hatten beinahe völlig im Verborgenen stattgefunden, und ich fragte mich, was die Mörder zu der schmalen, staubigen Tür geleitet hatte, die zu seinem Büro führte.
Nachdem wir ausgestiegen waren, ging Derwent vorneweg und überquerte die Straße. Wir hatten den gegenüberliegenden Fußweg noch nicht erreicht, da ging die Tür des Cafés neben dem Waschsalon auf, und ein großgewachsener, dunkelhäutiger Mann trat auf die Straße. Im Gehen streifte er sich noch schnell sein Jackett über. » DI Derwent? Henry Cowell, Kriminalpolizei Brixton. «
» Tut mir leid, dass Sie warten mussten. « Derwent schüttelte ihm die Hand. » Wir sind schlecht durchgekommen, zu viel Verkehr. «
» Kein Problem. Sie haben heute wahrscheinlich einen ziemlich stressigen Tag. Ich bin froh, dass das jetzt Ihr Job ist und nicht mehr meiner. «
» Ja, kann ich mir gut vorstellen, wie froh Sie sind, dass Sie uns den andrehen konnten. «
Ich schaute hinter Derwent hervor, der offensichtlich nicht die Absicht hatte, mich vorzustellen. » Maeve Kerrigan. «
» Freut mich, Sie kennen zu lernen. « In seinem Lächeln steckte mehr aufrichtige Freundlichkeit, als Derwent einen ganzen Tag lang zustande brachte. Wir hatten ungefähr dasselbe Alter und denselben Dienstrang, doch Cowell schien ausgesprochen gelassen angesichts der Aufgabe, zwei fremde Kriminalbeamte– einer davon ein DI – einzuweisen. Ich bezweifelte, dass ich an seiner Stelle so souverän gewesen wäre. » Tut mir leid, dass Sie mit mir vorliebnehmen müssen. Eigentlich wollte mein Chef hier sein, aber er wurde aufgehalten. «
» Solange Sie den Schlüssel haben, geht das in Ordnung. «
» Mehr als einen. « Er hielt ein ganzes Bund in die Höhe. » Warten Sie ab. «
Die Tür zur Straße stellte kein ernstes Hindernis dar. Ein einfaches Sicherheitsschloss war alles, was das Gebäude von der Außenwelt getrennt hatte. Ich folgte Derwent und Cowell die schmalen, schmutzigen Stufen hinauf zum ersten Stock. Auf dem kleinen Treppenabsatz vor Tremletts Räumen blieben wir stehen. » Im Dachgeschoss gibt es noch weitere Büroräume, die aber zurzeit leer stehen « , erläuterte Cowell, während er den Schlüsselbund in seiner Hand durchsah.
» Die hier sehen schon eher nach was aus « , sagte Derwent.
» Ja, das sind richtige Schlösser mit richtigen Schlüsseln, nicht dieser Standardkram. Auf der Innenseite der Tür sind noch Riegel angebracht. Das Türschloss unten stammt vom Besitzer. Aber die hier hat Ivan Tremlett höchstpersönlich einbauen lassen. «
» Fehlt eigentlich nur noch eine Festungsmauer « , bemerkte ich. An der Tür gab es kein Schild und
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