Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
Vom Netzwerk:
ihre Haut blass und eingefallen aussah und ihre Wangen hohl waren. Ihre schönen Augen waren trüb und halb geschlossen. Vermutlich war sie gar nicht richtig bei sich und hatte wahrscheinlich auch Liv noch nicht bemerkt. Um sie nicht zu erschrecken, wagte ich es kaum, mich zu bewegen, und lehnte mich nur ganz langsam zurück. Sie hob eine Hand und rieb sich die Augen. Da erst sah ich die Kette an ihrem Handgelenk. Sie war von mittlerem Gewicht und führte zu einem altertümlichen gusseisernen Heizkörper, an dem sie mit einem schweren Vorhängeschloss befestigt war. Kalte Wut flackerte in mir auf. Die Kette war gerade lang genug, dass sie den Eimer erreichen konnte, aber mehr auch nicht. An einigen Stellen war ihr Handgelenk durch das Metall wundgescheuert.
    Sie sah mich an, und ihre Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.
    » Es ist alles in Ordnung, Patricia. Wir sind von der Polizei. Sie sind jetzt in Sicherheit. Alles wird gut. « Das wiederholte ich mit sanfter Stimme immer wieder und hoffte, dass ihr die Bedeutung meiner Worte klar wurde. Hinter mir ging Liv langsam auf die Öffnung im Fußboden zu. Sie stieg die Leiter zum Flur hinunter, und ich hörte, wie sie telefonierte. In sachlichem Ton informierte sie die Leitstelle. Ich verstand zwar keine Einzelheiten, war aber dankbar für ihre Umsicht und froh, dass Patricia nicht mit anhören musste, wie über sie gesprochen wurde. Schwankend und mit glasigem Blick saß sie da wie eine müde Eule.
    » Können Sie sprechen, Patricia? Haben Sie Schmerzen? «
    Sie berührte ihre Lippen. » Durst. «
    » Ich habe Wasser dabei. « Im Auto lag eine Literflasche; noch nie war ich so froh über einen morgendlichen Kater gewesen. » Ich hole Ihnen was, sobald meine Kollegin wieder hier ist. Ich heiße übrigens Maeve. Meine Kollegin heißt Liv. «
    Sie nickte zwar, doch ihr Blick war noch immer leer, und ich bezweifelte, dass meine Worte richtig bei ihr ankamen.
    » Sie sind jetzt in Sicherheit. Alles wird wieder gut. «
    Ein Lächeln huschte über ihre aufgesprungenen Lippen. Dabei öffnete sich kurz ihr Mund, und ich sah schwarze Lücken in ihren ehemals ebenmäßigen Zahnreihen.
    » Liv ist gleich zurück. Sie bleibt bei Ihnen, während ich das Wasser hole. «
    » Danke. «
    Auch wenn diese Antwort mehr oder weniger ein Reflex war, schnürte sie mir beinahe die Kehle zu. Nach allem, was sie hatte durchmachen müssen, war sie immer noch in der Lage, höflich zu sein.
    » Lee und Drew– sie wurden festgenommen. Sie können Ihnen nichts mehr tun. « Sie sah mich verständnislos an, und erst da fiel mir ein, dass die beiden noch andere Namen hatten. » Alex und Andy? «
    Keine Reaktion.
    » Die Männer, die Sie entführt haben. «
    Allmählich begriff sie. » Ich wusste nicht…wie sie heißen. «
    » Sie haben Ihnen nie ihre Namen gesagt? «
    » Vincent, dachte ich bei dem einen. So hieß er in seinem Profil. « Sie brach ab und hustete leicht.
    » Lieber nicht sprechen. «
    Aber das ignorierte sie. » Wie haben Sie gesagt? Lee? «
    » Und Drew. Die Kurzformen von Alexander und Andrew. Ihr Nachname ist Bancroft. «
    » Und wer ist wer? «
    » Lee ist der größere von beiden. Drew ist der Schwätzer. «
    » Der Fiese und der Nette. Aber böse waren sie beide. « In ihrem Gesicht spiegelte sich für einen Moment Verzweiflung und verebbte wieder. Sie verfiel erneut in ihren zombieartigen Zustand, und ich war sehr erleichtert, als ich Liv die Leiter hochkommen hörte.
    » Sie sind unterwegs. Fünf Minuten. Beim letzten Mal war es noch eine Stunde, wir sind in der Priorität also gestiegen. « Sie klang aufgedreht und atemlos. Betont ruhig und langsam antwortete ich: » Sehr gut. Hast du den Chef erreicht? «
    » Ja. Wir treffen uns im Krankenhaus. «
    » Könntest du kurz bei Patricia bleiben? Ich will ihr nur kurz was zu trinken holen. «
    » Klar, kein Problem. « Sie schaute an mir vorbei zu der Frau auf der Matratze und wandte den Blick ab. Sie ließ sich auf dem Rand einer Truhe nieder, die etwa drei Meter von Patricia entfernt stand. Ich fragte mich, ob sie Angst davor hatte, mit ihr zu reden oder ihr zu nahe zu kommen.
    Ganz langsam stand ich auf, wobei ich sehr darauf achtete, Patricia nicht zu bedrängen oder mich gar über sie zu beugen. » Ich bin sofort wieder da. «
    Ich war mir nicht sicher, ob sie mitbekam, dass ich den Raum verließ. Für einen Moment ließ ich sie und Liv allein, und beide starrten schweigend ins Leere. Liv fiel es offenbar nicht leicht, mit

Weitere Kostenlose Bücher