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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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auffangen. Sie lehnte sich an mich und weinte. Sie umklammerte die Brille, als hätte sie Angst, dass jemand sie ihr wieder wegnehmen könnte. Durch die dicke Baumwolle ihres Sweatshirts hindurch konnte ich ihre Rippen und jeden einzelnen Wirbel ihres Rückgrats spüren, die herausragten wie bei einem Stegosaurus. Sie war nur noch Haut und Knochen und gebrechlich wie eine Neunzigjährige.
    Als sie sich so weit gefasst hatte, dass sie wieder sprechen konnte, stammelte sie: » Ich hatte sie darum gebeten… «
    » Um die Brille? «
    Nicken. » Das war das Einzige…wonach ich immer wieder gefragt habe. Am Anfang habe ich es noch mit verschiedenen anderen Sachen versucht, aber das hab ich bald sein lassen. Ich wusste ja, dass es nichts bringt. Nur die Brille wollte ich wiederhaben, damit ich wenigstens was sehen konnte. Er meinte, es täte ihm leid, aber er hätte sie verloren. Er hat versprochen, mir irgendwo eine andere zu besorgen und weiter nach meiner eigenen zu suchen. Er hat gesagt, ich muss dazu nur alles machen, was er will, und so tun, als ob es mir gefällt. «
    » Sie meinen Lee? Also den Größeren? «
    » Nein. « Angewidert verzog sie das Gesicht. » Den anderen. «
    Sie schob mich von sich, als hätte sie sich genug gesammelt. Von unten drangen Geräusche herauf, Livs Stimme und feste, dienstlich klingende Schritte. Eine grauhaarige Sanitäterin mit freundlichem Gesicht war die Erste, die den Kopf durch die Bodenluke steckte und mir zunickte, ehe sie sich Patricia zuwandte.
    » Hallo, meine Gute, da wollen wir doch mal schauen. «
    Ich ging ein Stück beiseite, um ihre Privatsphäre zu respektieren, und war unsagbar froh darüber, dass endlich jemand da war, der wusste, was er zu tun hatte.
    » Wo wollen Sie denn hin? « , rief Patricia fast panisch.
    » Nirgends. « Ich kam wieder näher. » Ich bleibe hier. «
    » Wie heißen Sie noch mal? Tut mir leid. Ich hab Ihren Namen schon wieder vergessen. «
    » Maeve. «
    » Gehen Sie nicht, bitte. «
    » Ich bleibe bei Ihnen « , versicherte ich ihr. Ich würde so lange bei ihr sein, wie sie mich brauchte und bis jemand, der ihr nahestand, meinen Platz einnehmen konnte. Das war in meinen Augen das Mindeste, was ich für sie tun konnte.
    » Ist das öde. «
    » Dir kann man aber auch nichts recht machen, was? Dramatische Geiselbefreiung, eine Frau vor dem Tod errettet, eine böse zugerichtete Leiche und jetzt den besten Kaffee im ganzen Krankenhaus. « Liv reichte mir meinen Becher, und ich nahm einen großen Schluck, obwohl ich genau wusste, dass er zu heiß war.
    » Au. «
    » Immer mit der Ruhe, du Adrenalinjunkie. Vielleicht solltest du ja vorher mal pusten. «
    » Ich brauch dringend Koffein, sonst schlaf ich sofort ein. « Ich stellte den Becher auf dem Fußboden ab, fächelte meinem Mund Kühle zu und rutschte auf meinem Stuhl noch weiter nach unten. » Das Einzige, was mich noch wachhält, ist die spannende Frage, welche Verletzung als Nächstes um die Ecke kommt. «
    Wir hockten in der Notaufnahme in einem Korridor, wo ziemlich viel los war, und ich war wie immer verblüfft, auf welch vielfältige Weise Menschen zu Schaden kommen konnten.
    » Geh doch eine Runde spazieren, da wirst du wieder wach. « Liv sah auf die Uhr. » Godley ist sicher gleich hier. Und die Ärzte müssten mit Patricia auch bald fertig sein. Die Sanis meinten ja, dass ihr Zustand erstaunlich stabil ist. «
    » Deshalb durften wir auch mitkommen, oder? Weil es kein richtiger Notfall war. Aber ich glaube trotzdem, dass sie noch eine Weile brauchen, bis sie mit allen Tests durch sind. Schließlich hat seit über einem Jahr kein Arzt sie zu Gesicht gekriegt. « Godley hatte darum gebeten, Patricia in die Ambulanz eines bestimmten Krankenhauses in Nordlondon zu bringen, denn dort war– wie sich herausstellte– Lee Bancroft schon eingeliefert worden, und Godley wollte beide im Auge behalten, ohne dazu ständig hin- und herfahren zu müssen.
    Liv ließ sich neben mir nieder und lehnte sich an die Wand. » Mach doch einfach das Beste aus dieser Verschnaufpause. Du kannst die Ruhe bestimmt gebrauchen. Patricia nimmt dich ja ziemlich in Anspruch. «
    » Willst du ihr das verübeln? Wir sind schließlich seit Ewigkeiten die Ersten, die ihr nichts Böses wollen. « Ein Schauer durchfuhr mich. » Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie durchgemacht hat. Unglaublich, dass sie das überlebt hat. «
    Liv antwortete nicht gleich. Sie spielte mit ihrem Kaffeebecher, rollte den Papprand ein

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