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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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» Sollte der Krankenwagen nicht langsam hier sein? «
    » Sie müssen das Haus erst mal finden « , antwortete Liv im Gehen. » Ist ja nicht gerade einfach, selbst wenn man ungefähr weiß, wo es ist. «
    » Wo sind wir denn eigentlich? « Patricia sah mich blinzelnd an. » In England? «
    Ich lachte nicht darüber. » Wir sind ein Stückchen nördlich von Enfield. «
    » Enfield– London? «
    » Ja, noch innerhalb des Autobahnrings M25. «
    » Aber wieso… « Erschüttert verstummte sie. » Die haben immer gesagt, ich kann hier nicht weg. Weil hier nirgendwo Nachbarn sind und ich erfrieren würde. Und weil keiner mich verstehen würde. Ich dachte, wir wären ganz weit weg, in Island oder Norwegen oder so. « Sie schluckte. » Ich hätte also nach Hause gekonnt, wenn ich weggerannt wäre. «
    Das war das erste Mal, dass sie etwas Längeres– und ermutigend Zusammenhängendes– gesagt hatte. Offenbar hatte ihr das Wasser gutgetan. » Wer weiß, was die Ihnen angetan hätten, wenn Sie es versucht hätten. « Ich kramte in meiner Tasche nach den Schlüsseln. » Außerdem waren Sie ja gefesselt. «
    » Die Kette ist neu. « Sie rasselte damit und zog so heftig daran, wie sie konnte. Dass die Metallschellen ihr ins Fleisch schnitten, schien sie gar nicht zu bemerken, obwohl mir schon das Hinsehen wehtat. » Die schwere Kette hier haben sie erst vor Kurzem mitgebracht. Nach dem, was mit der Neuen passiert ist, wollten sie bei mir nichts riskieren, dazu wäre ich angeblich zu wertvoll. «
    » Die Neue? «
    Ihr Gesicht erstarrte, und sie presste die Lippen aufeinander. Sie sah angstvoll und ablehnend aus. » Ich will nicht über sie reden. «
    » Über Cheyenne? « Es war keine Einbildung: Bei dem Namen ging ein Schauder durch ihren ausgezehrten Körper. Wieder rasselte sie mit der Kette, nachdrücklicher diesmal. Ich sichtete die Schlüssel, die ich gefunden hatte. » Vielleicht passt einer davon. «
    Das Schloss sah allerdings recht neu aus, die Schlüssel dagegen eher alt und angelaufen. Ich hatte sie einfach von dem Eckregal genommen, ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt breitete ich sie auf der Matratze aus und schob zwei davon beiseite, weil es Haustürschlüssel waren. Drei blieben noch übrig, und ich begann sie auszuprobieren. Patricia kam ganz nahe und musterte die Schlüssel angestrengt.
    » Wo haben Sie die her? «
    » Von unten. Sie lagen im Fernsehzimmer auf einem Stapel. «
    » Das Zimmer kenne ich nicht. Ich war nur in der Küche und in den Schlafzimmern. « Sie legte den Finger auf einen Ring mit zwei unterschiedlichen Sicherheitsschlüsseln. Der Anhänger war eine abgeschabte Plastikmaus. Über ihr Gesicht huschte ein Lächeln. » Das sind meine. Meine Wohnungsschlüssel. «
    Dass sie keine Wohnung mehr hatte, brachte ich nicht übers Herz, ihr zu sagen. » Hatten Sie denen Ihre Schlüssel gegeben? «
    » Ich hatte sie, glaube ich, in meiner Handtasche, als ich zu der Verabredung mit ihm gegangen bin. « Wieder das verschlossene Gesicht, Rückzug. Nicht drängen, Maeve.
    Ich probierte ein bisschen am Vorhängeschloss herum, kapitulierte jedoch bald. » Mit den Schlüsseln hier wird das offenbar nichts, aber wir können die Feuerwehr rufen, damit die Sie befreien. Die freuen sich immer, wenn sie mit ihren Superbolzenschneidern angeben können. « Unterdessen durchsuchte ich meine Taschen, ob ich auch keinen Schlüssel übersehen hatte, und stieß dabei auf die Brille. » Ach ja, die gehört wahrscheinlich auch Ihnen, oder? «
    » Was ist das? «
    Ich zeigte sie ihr und hielt sie ihr dann noch ein Stück näher vor die Augen, als ich merkte, dass sie nichts erkennen konnte. Von völligem Unverständnis bis zum Wiedererkennen war es nur der Bruchteil einer Sekunde, und im nächsten Moment riss sie mir die Brille aus der Hand und setzte sie auf. Nachdem sie ein paar Mal geblinzelt hatte, reckte sie ihren Hals und schaute sich auf dem Dachboden um. Dann kniete sie sich hin und starrte über das Fensterbrett hinweg auf die Felder, die sich weit in die Ferne erstreckten.
    » Wo war die? «
    » Neben den Schlüsseln. «
    » Unten? «
    » Ja, im Fernsehzimmer. « Abwesend nahm ich die Schlüssel wieder an mich. Ihr Tonfall war so beiläufig gewesen, dass ich kein bisschen vorgewarnt war. Ich bemerkte nicht, wie sie plötzlich komplett zusammenbrach. Ohne jeden Halt sank sie zu Boden, als hätte ihr jemand alle Sehnen durchtrennt. Geistesgegenwärtig streckte ich meine Arme aus und konnte sie gerade noch

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