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Der Ungnädige

Der Ungnädige

Titel: Der Ungnädige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Casey
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sagte ich, und sie nickte wieder.
    » In seinen Mails war er so charmant. Und lustig. Ich wollte ihn eigentlich erst gar nicht treffen, weil ich wusste, dass es wieder schiefgehen wird. « Sie lachte verbittert auf. » Darüber habe ich sehr viel nachgedacht. Wie Recht ich damit hatte, ohne es zu wissen. «
    » Und wie hat er Sie dann doch überredet? «
    » Ich habe ihm geschrieben, dass ich viel zu dick und zu hässlich bin, um mit jemandem auszugehen. Dann hab ich ihm ein Bild von mir geschickt, auf dem ich wirklich schrecklich aussah– es war das einzige, das ich hatte. Er meinte, ich sähe schön aus, und dass er die innere Schönheit erkennen könnte, auf die es eigentlich ankäme. « Wieder rollten ihr zwei Tränen übers Gesicht. » Die Mail hab ich ausgedruckt und ständig mit mir rumgetragen. Ich hab sie immer wieder durchgelesen, im Bus oder in der Arbeit, wenn keiner dabei war. Das war so ein tolles Gefühl. Danach hab ich ihm dann vertraut. «
    » Genau das war sein Plan « , sagte Godley leise. » Es war nicht Ihre Schuld, dass Sie sich haben täuschen lassen. «
    » Ja, aber– und dann hat er mich noch mal dazu gebracht, ihm zu vertrauen. Zwei Mal hat er mich reingelegt. Aber das war später. «
    » Was ist passiert, als Sie sich mit ihm getroffen haben? «
    » Er war genau so, wie ich es mir erhofft hatte « , sagte sie schlicht. » Er war so aufmerksam. Ein echter Gentleman. Wir hatten uns in einem Lokal verabredet, und ich hatte große Angst, dass die Leute uns anstarren würden, weil ich so fett und hässlich war und er so gut aussah. Aber als hätte er das gespürt, hat er uns an einen Tisch ganz hinten in einer Nische gelotst, wo man uns nicht so sehen konnte. Ich dachte wirklich, dass er das aus Rücksicht gemacht hat, und hab erst später begriffen, dass es nur darum ging, dass sich keiner an uns beide erinnern sollte. «
    » Haben Sie den ganzen Abend dort verbracht? «
    » Nein. Wir haben nur was zusammen getrunken. Zwei Gläser. Aber ins zweite hatte er irgendwas reingetan. Vorher wollte er wissen, ob ich jemandem von ihm erzählt hätte oder ob jemand wüsste, wo ich an dem Abend hinwollte. Er hat ganz genau nachgefragt, damit er wusste, ob er es riskieren konnte, mich zu entführen. Und ich hab es ihm auch wirklich leicht gemacht. «
    » Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe « , sagte ich sofort. » Er wusste genau, was er vorhatte– Sie wussten das nicht. «
    » Aber ich hätte merken müssen, dass das alles viel zu schön war, um wahr zu sein. « Sie stieß einen langen, zittrigen Seufzer aus. » Er hat dann vorgeschlagen, was essen zu gehen. Angeblich kannte er ein nettes Restaurant. Ich war viel zu sehr neben der Spur, um zu überlegen, ob das eine gute Idee war. Aber selbst in stocknüchternem Zustand wäre ich mit ihm mitgegangen. Ich wollte ja so gern glauben, dass alles echt war. «
    » Sind Sie dann in dieses Restaurant gegangen? « , fragte Godley.
    » Nein. Er meinte, es wäre ein Stück zu fahren, und wollte deshalb seinen Lieferwagen nehmen, damit er ihn nicht auf der Straße stehen lassen musste. Da er sowieso mit dem Auto nach Hause fahren wollte, hatte er keinen Alkohol getrunken. Ich fand also nichts weiter dabei, mich von ihm zu diesem Restaurant fahren zu lassen. Aber dazu ist es nie gekommen. Er wollte erst noch irgendwas hinten aus dem Laderaum holen. Sobald er die Türen aufgemacht hatte, stieß er mich rein. Dort drin saß schon der andere und hat derart auf mich eingeschlagen, dass ich bewusstlos geworden bin. Wieder aufgewacht bin ich dann erst in diesem Haus. «
    » Auf dem Dachboden? « , erkundigte ich mich.
    » In einem Schlafzimmer. In dem mit der grünen Tapete. Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich war. «
    » Waren Sie gefesselt? «
    » Nein, aber die Tür war abgeschlossen. Als sie aufging, kam der andere Zwillingsbruder wieder rein. Er hat mich wieder geschlagen und dann vergewaltigt. « Sie schilderte das alles so apathisch, als wäre es blanke Alltagsroutine. » Das hat sich dann alle paar Stunden wiederholt. Nichts zu essen. Kein Wasser. Ich dachte, ich muss sterben. Wäre ich am liebsten auch. Immer wieder. Und dann– dann ist der andere eine Zeitlang nicht mehr gekommen. Als die Tür das nächste Mal wieder aufging, war es Vincent. Das weiß ich noch ganz genau. Ich lag da, auf dem Fußboden, und er hat ein Tablett reingebracht. Er hat mir hochgeholfen, mich aufs Bett gesetzt, mir Wasser und was zu essen gegeben und meine Verletzungen versorgt.

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