Der Ungnädige
doch sowieso den Autopsiebericht. «
» Der Geruch der Angst ist durch nichts zu ersetzen, Maeve. « Er reckte sich. » Los, schauen wir uns die Sache mal an. «
» Jetzt gleich? « Unwillkürlich wich ich einen Schritt zurück.
» Schiss gekriegt? « Seine Augen glitzerten vor Freude.
» Nein. « Ich schluckte. » Aber solange es da drin noch so voll ist, will ich nicht auch noch reinplatzen. Ich kann mir auch erst mal die restliche Wohnung ansehen. «
» Das kann ja so lange nicht dauern. Jetzt aber Marsch. « Mit amüsierter Miene verließ er vor mir die Küche und ging den Flur entlang. Er wusste sehr wohl, dass ich mich sträubte und nur Zeit schinden wollte.
» Das Bad. « Er schaltete das Licht ein. Lila Fliesen, moosgrüne Badewanne, Waschbecken und Toilette. Eine schmerzhafte Kombination, die sich eigentlich von selbst verbieten sollte. Ein braunes Handtuch hing an einem Wandhaken. Schimmel blühte an der Decke, und der Raum roch muffig, aber im Wesentlichen war es sauber.
» Das Wohnzimmer ist dahinten. « Noch ein winziger Raum, diesmal mit einem dunkelbraunen Teppich, einem Druck von da Vincis Abendmahl an der Wand, einem Gasheizer und einem kleinen Radio. Kein Fernseher. Die Stühle sahen hart und unbequem aus. Nur ein Sessel mit hölzernen Armlehnen wies Gebrauchsspuren auf. Ein zerknautschtes rosa Kissen war an die Sessellehne gedrückt. Ein einsames Leben, dachte ich, als ich mich umsah. Ein trauriges Leben. Auf einem Tisch am Fenster lag ein kleines Kruzifix aus Messing und neben dem Sessel auf dem Boden ein Messbuch. Der Blick ging in den Garten, der aus einem tristen Rasenstück bestand.
» Die Hintertür ist am Ende das Korridors. «
Ich folgte Derwent. Er drehte den Schlüssel der Milchglastür um und stieß sie mit einem pathetischen » Voilà « auf.
Der Garten war so traurig, wie er von drinnen ausgesehen hatte. Hohe Zäune, die zu den benachbarten Wohnungen gehörten, umgaben das Rasenstück. Derwent schaute kommentarlos auf die Wäscheleine und die Vogelfutterspender, die einzigen Gegenstände im Garten. An der Wäscheleine hingen Plastikklammern griffbereit in regelmäßigen Abständen. Die Futterspender waren dreiviertelvoll, als wären sie erst am Vortag gefüllt worden. Auf einem der Nachbargrundstücke stand gerade ein Baum in voller Blüte, und mit jedem Windstoß trieben die kleinen Blütenblättchen über das Gras und sammelten sich entlang des Zauns wie ein altertümlicher Spitzenbesatz. Auf den ersten Blick sah es sehr hübsch aus, doch die Blütenblätter zeigten schon bräunliche Zersetzungsspuren.
Er hatte ein stilles Leben geführt, auf sich geachtet und seine Wohnung sauber gehalten, mit Mrs. Driscolls Hilfe. Es hatte ihm Freude gemacht, die kleinen Vögel in seinem Garten zu beobachten, und viel mehr hatte es für ihn nicht gegeben. Trotz Statusverlust hatte er an seinem Glauben festgehalten und seine Tage im Gebet verbracht, entweder zu Hause oder in der nahegelegenen Kirche. Er war offenbar nicht unsympathisch gewesen, denn die, mit denen er während seiner Londoner Zeit zu tun gehabt hatte, hielten ihm die Treue. Außerdem hatte er Anstand genug gehabt, um vor Gericht seine Schuld einzugestehen.
Und er hatte Menschen missbraucht und manipuliert. Er war ein mächtiger Mann in seiner Gemeinde gewesen, der seine Stellung ausgenutzt und unschuldigen Kindern Schaden zugefügt hatte. Nur wenige Menschen sind durch und durch schlecht oder eben gut. Ich mochte nicht über ihn urteilen, weder so noch so. Im vorliegenden Fall war er das Opfer und nicht der Verdächtige, und ich wollte genauso hart daran arbeiten, seinen Mörder ausfindig zu machen, wie ich das bei jedem anderen auch getan hätte.
Doch dazu musste ich sehen, wo er gestorben war. Ich drehte mich zu Derwent um. » Sehen wir uns das Schlafzimmer an. «
» Dann folgen Sie mir mal unauffällig. «
Die Kollegen von der Spurensicherung waren gerade fertig, als wir zurück in den Korridor kamen. Wir warteten, bis sie ihre ganzen Taschen und die Kameraausrüstung nach draußen geschafft hatten. Der letzte war Tony Schofield, ein früh kahl gewordener, konstant nervöser Beamter. Ich dachte immer, dass er zu schwache Nerven für seinen Job hatte, aber kürzlich erst war er befördert worden und nunmehr offiziell Leiter der Spurensicherung. Er nickte uns zu.
» Ziemlich klare Sache. Wir haben alle Fotos und Fingerabdrücke, und Dr. Hanshaw hat den Leichnam freigegeben. Ich schicke die Bestatter rein, wenn Sie
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