Der Unheimliche
Sie
wohl«, rief die Frau triumphierend. »Bis vor einer Woche — dann ist sie
verschwunden. Sogar ohne das Geld abzuwarten, das ihr noch zustand. Wenn Sie es
genau wissen wollen, so hat sie irgendwie Dreck am Stecken.«
»Sie haben keine Ahnung, wohin
sie gegangen ist?«
»Keine!«
Ich bemühte mich um ein
vertrauenerweckendes Lächeln, das meine Gesichtsmuskeln stark beanspruchte,
aber das war auch ungefähr alles. »Könnten Sie sie mir näher beschreiben?«
»Wenn Sie nach ihr suchen,
müssen Sie doch wissen, wie sie aussieht.« Ihre kleinen Augen funkelten. »Oder
etwa nicht?«
»Ich will Ihnen nichts
vormachen«, und ich blinzelte ihr zu. »Sie ist verschwunden und ist dabei
einige Ratenzahlungen schuldig geblieben. Nun versuche ich, sie für eine
Finanzierungsgesellschaft ausfindig zu machen.«
»Aha!« Diese Nachricht schien
ihr zu gefallen. »Das überrascht mich gar nicht! Hat sich stets aufgespielt, so
war sie. So eine Blonde, Sie wissen schon, eine Aschblonde. Ach nein, fast
weiß, möchte ich sagen. Sonst ganz hübsch, das Mädchen. Attraktiv, das schon.«
Sie stieß geräuschvoll die Luft durch die Nase. »Für meinen Geschmack zu keß .«
»Sie haben nicht zufällig eine
Fotografie von ihr?«
»Eine Fotografie? Von der?« Sie
lachte verächtlich auf. »Was sollte ich denn mit der?«
»Mir kam nur gerade so der
Gedanke. Könnten Sie mir etwas anderes angeben, das mir helfen könnte? War sie
groß oder klein?«
»So mittelgroß, denke ich.«
Wieder schnaufte sie so merkwürdig, und ich fragte mich, ob sie etwas an der
Rachenmandel hatte oder in der Nasenhöhle.
»Ziemlich sinnlich«, sagte sie.
»Wenn Sie verstehen, was ich meine? Die Art, wie sie ging, die Kleider, die sie
trug — immer ein wenig zu eng. Nichts, worauf man mit dem Finger zeigen konnte
und sagen: das ist es — aber manche Mädchen haben das einfach.«
»Ganz sicher«, pflichtete ich
ihr bei. »Ich weiß genau, was Sie meinen.«
»Das ist alles, was ich Ihnen
sagen kann«, erklärte sie, nun wieder kurz angebunden. »Und sie ist also unter
Hinterlassung von Schulden verschwunden? Na ja, sie war genau der Typ. Die
könnte der ganzen Stadt Geld schuldig geblieben sein. Würde mich überhaupt
nicht wundern!«
»Mich auch nicht«, erwiderte
ich. »Ich danke Ihnen vielmals für Ihre freundliche Auskunft.«
»Schon gut. Ich hoffe, Sie
finden sie. Mich hat sie in große Verlegenheit gebracht. Einfach so
davonzulaufen! Das zweite Mädchen, das ich innerhalb eines Monats verloren
habe. Nicht das geringste Verantwortungsbewußtsein gegenüber ihrem Arbeitgeber, das ist die Wurzel des Übels. Keine Rücksicht auf
mich, obwohl ich auf Wochen hinaus bereits Vorbestellungen liegen habe und
meine Kunden von mir erwarten, sogleich behandelt zu werden, kaum daß sie den
Salon betreten. Es stimmt eben nicht mehr bei den Mädchen von heute, sie haben
ganz einfach kein Gefühl...«
»Ja, ganz richtig«, murmelte
ich und zog mich die Treppe hinunter wieder zurück, während mich ihre Stimme
die Stufen hinab verfolgte.
Ich setzte mich wieder in
meinen Healy und zündete mir eine Zigarette an. Vielleicht hatte der Vorsprung
von fünfzehn Stunden doch nicht so viel zu bedeuten. Olga Kellner war ebenso
untergetaucht wie Leila Cross. Nur nicht so bald. Olga hatte ein paar Wochen
länger gewartet. Warum aber hatte sie sich plötzlich entschlossen, doch
davonzulaufen? Vielleicht war die Gefahr, vorausgesetzt, daß sie sich in Gefahr
befunden hatte, am Ende allzu drohend geworden? Wie bei Leila? In diesem Fall
war sie möglicherweise gar nicht mal so weit gekommen. Vielleicht lag sie als
Leiche in irgendeinem Hinterhof von Vale Heights. Es war kein sehr erhebender
Gedanke. Das Büro des Sheriffs wurde bereits von allzu vielen Leichen bedrängt.
Ich machte eine volle Wendung
und fuhr zum Strandräuber zurück. Einer der Angestellten brachte meinen
Wagen auf den Parkplatz. Ein Boy ergriff meinen kleinen Koffer und führte mich
ins Hotel. Ich trug mich ein, nahm den Zimmerschlüssel in Empfang, und der Boy
geleitete mich hinauf. Ich erleichterte meine Tasche um einen Dollar, was ihm
nicht gerade unangenehm war, und stellte dann fest, ich brauchte noch etwas zu
trinken.
Im Fahrstuhl fuhr ich bis ins
Erdgeschoß, wo ich die Wahl hatte: Da waren das Restaurant, ein Grill, ein
Nachtklub, der bis vier Uhr morgens geöffnet blieb und drei Vorstellungen bot,
und zwei Bars. Ich entschied mich für die kleinere, vor allem, weil sie fast
leer war.
Ich
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