Der Unsichtbare Feind
war, sagte er: »Sehr gut, aber ich brauche Dr. Carrs Berichte schriftlich – damit ich mit dem Universitätsvorstand reden kann. Und wann werden Sie die Proben aus Rodez untersuchen?«
»Ich bekomme die Reagenzien nicht vor Montagmorgen, wenn der Kurier sie bringt. Rechnen Sie gegen Mitternacht mit den ersten Ergebnissen.«
»Großartig. Und was machen Sie in der Zwischenzeit?«
»Ich werde im Labor sein, die laufenden Untersuchungen beenden und die Proben vorbereiten, die wir brauchen, sobald die Primer angekommen sind.«
»Aber kündigen Sie bloß keine vorläufigen Ergebnisse an«, wies er sie an und hängte ein.
Warum sollte ich nicht Sydney Aimes anrufen und ihm die frohe Botschaft verkünden?, dachte sie trotz der Warnung. Vor ihr tauchte das Spektakel auf, das er auf der Konferenz aufgeführt hatte, sein kahler Schädel und sein vor Wut geschwollener Stiernacken, und sie malte sich schon genüsslich seine Reaktion aus. Der aufgeblasene Wichser wird wie eine Erektion auf Beinen aussehen.
Aber ihr Triumphgefühl ebbte schnell ab. Aus den dunklen Winkeln, in denen Instinkte und uneingestandene Ängste allzeit bereitstanden, um durch ihre Träume zu geistern, entfloh eine bemerkenswert deutliche Warnung. So klar, als ob ihr jemand ins Ohr flüsterte, hörte sie: Er wird auch außerordentlich viel gefährlicher werden.
Um den soll sich besser Stanton kümmern, beschloss sie.
Stattdessen wählte sie Pattons Nummer. Sie erklärte ihm, dass die guten Neuigkeiten nach den letzten Wochen, wo sie ihm nichts Neues hatte berichten können, nicht nur eine erfrischende Abwechslung waren, sondern dass sie ihnen auch etwas an die Hand gab, auf das sie sich konzentrieren konnten. In der letzten Zeit hatte ihre Beziehung wieder einen Zustand erreicht, in dem sie über ihre Arbeit diskutieren konnten, ohne dass es unangenehm wurde, und diesen Fortschritt wollte sie fördern. Deshalb versprach sie sich selbst, sehr diskret zu sein, während sie die süße Rache genoss, dass sie ihm sein ›Ich habe es dir doch gesagt‹ von Honolulu zurückzahlen konnte.
Sein Telefon klingelte ein paar Mal öfter als sonst, bis er abhob, und dann erkannte sie sofort die verräterische Rauheit, die früher einmal genügt hätte, um sie zur Verzweiflung zu bringen. Aber jetzt, wenn sie auch seine kaum verhehlte Atemlosigkeit und gelegentlich ein Stöhnen im Hintergrund hörte, fühlte sie sogar eine gewisse Erleichterung, dass er mit einer anderen Frau zusammen war. Irgendwie hatte sie dadurch das Gefühl, endgültig vom Haken zu sein. Eine Sekunde lang spielte sie sogar mit dem Gedanken, aufzulegen, ohne ein Wort zu sagen, und ihn am nächsten Tag wieder anzurufen, als er »Kathleen?« sagte und alle Sexgeräusche auf der Stelle aufhörten.
Seine Anruferanzeige hatte sie verraten. Zum Teufel, dachte sie, dann kann ich ihm auch jetzt gleich Julies Entdeckung unter die Nase reiben.
Als sie ihren Bericht beendet und erklärt hatte, was sie mit den Proben aus Rodez vorhatte, sagte er: »Deine Spekulationen waren also doch ziemlich dicht an der Wahrheit. Meinen Glückwunsch, und bitte entschuldige, dass ich dich neulich dafür kritisiert habe.«
Seine großherzige Antwort gefiel ihr. Zu ihrer Überraschung blieb er am Apparat und hatte anscheinend keine große Eile, sich wieder seinem Besuch zu widmen. Stattdessen stellte er ihr Fragen über die Wirkung von genetischen Impfstoffen, was es ihrer Meinung nach zu bedeuten hatte, dass sie in Oahu aufgetaucht waren, und wie sie mit Rodez oder sogar Taiwan in Verbindung stehen könnten.
Sie bemerkte auch, dass seine Stimme rasch zu ihrer normalen Tonlage zurückkehrte. Was muss deine Bettgenossin von dir denken?, wollte sie ihn schon aufziehen, aber sie benahm sich und war froh, nichts mehr mit dem Privatleben dieses Mannes zu tun zu haben. Vielmehr konzentrierte sie sich darauf, seine Fragen zu beantworten, wurde jedoch schnell ungeduldig, als er nicht gleich begriff und sie mehrere Dinge zwei- oder dreimal wiederholen musste. Wahrscheinlich habe ich mich daran gewöhnt, Leute wie Richard Steele zu unterrichten, dachte sie. Nicht jeder kann so scharfsinnig sein und so schnell zum Wesentlichen kommen wie er.
Armer Steve, dachte sie, als sie endlich das Gespräch beendet hatten, ich glaube, jetzt bin ich wirklich frei von dir. Diese Erkenntnis rief in ihr gemischte Gefühle von Traurigkeit und Erleichterung hervor, und sie fand es seltsam, wie gewöhnlich er ihr jetzt erschien.
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