Der Unsichtbare Feind
»Nein, Lisa, sie ist überhaupt nicht in Gefahr. Es ist nur, dass ich etwas entdeckt habe, wonach sie schon lange gesucht hat.«
»Aber Sie haben doch gesagt, dass es um Leben und Tod geht.«
»Entschuldigung. Ich habe mich hinreißen lassen. Es sind nur ein paar neue Gene, die ich gefunden habe. Ich nehme an, Sie kennen das von Ihrer Mutter, wie es bei so etwas für uns Genetiker immer gleich um Leben und Tod geht. Aber bitte sagen Sie ihr trotzdem, dass sie mich gleich anruft. Es wird sie sehr interessieren.«
Er legte auf und überlegte, wen er noch anrufen sollte. Racine in Frankreich musste sofort erfahren, dass der eigentliche Grund für Gastons Ermordung eine genetische Waffe war und nicht eine Vertuschungsmaßnahme der Industrie, wie er vermutete. Die Polizei in Honolulu musste auch alarmiert werden. Seine Gedanken rasten, und er beschloss, dass er alles am schnellsten erledigen konnte, wenn er McKnight anrief und es ihm überließ, die Sache in die Hand zu nehmen. Er fischte die Karte des Detectives aus der Jackentasche. »Es ist besser, wenn Polizisten mit Polizisten reden«, murmelte er und wählte die Nummer. »Einem iranischen Einwanderer würde sowieso niemand solch eine verrückte Geschichte glauben.«
»Der Teilnehmer, dessen Nummer Sie gewählt haben, ist zurzeit nicht erreichbar …«
18.57 Uhr
Lisa Sullivan tigerte nervös um das Telefon herum und wusste nicht, was sie tun sollte. In der letzten halben Stunde hatte sie alle fünf Minuten versucht, ihre Mutter zu erreichen, war aber immer nur bei einer Tonbandansage gelandet. Warum hast du deine Mailbox nicht abgefragt?, ärgerte sie sich und kaute aus alter Gewohnheit geistesabwesend auf den Fingernägeln. Als sie an einem Spiegel vorbeikam und sich in flagranti ertappte, zog sie ruckartig die Hand zurück.
Normalerweise spielte sie gerne die Rückendeckung in den Verschwörungen, die ihre Mutter bei ihren verrückten Unternehmungen ausheckte. Heute jedoch hatte sie Angst und dachte die ganze Zeit daran, wie sie sich verabschiedet hatten.
»Wenn ich dich bis elf Uhr abends nicht angerufen habe, dann rufst du Detective McKnight an und sagst ihm, wo Dr. Steele und ich wirklich sind«, hatte ihre Mutter ihr am Nachmittag auf dem Weg zur Tür aufgetragen.
Dr. Steele hatte überrascht ausgesehen und gesagt: »Ich dachte, das macht Patton.«
»Der Mann hat sich zu sehr an seinen luxuriösen Lebensstil gewöhnt. Ich glaube nicht, dass er noch immer so bereit ist, für eine gute Sache ins Gefängnis zu gehen, wie er es früher einmal war. Wir können uns nicht auf jemanden verlassen, der vielleicht zaudert, die Polizei zu alarmieren.«
Dann hatte sich ihre Mutter mit einer letzten Instruktion an sie gewendet. »Wenn irgendjemand nach mir fragt, ich bin mit Dr. Steele in meinem Labor. Und es gibt zwei Leute, wenn die anrufen sollten, musst du besonders vorsichtig sein, was du sagst. Der eine ist Greg Stanton –«
»Der Dekan?«
Sogar Dr. Steele war jetzt erstaunt.
»Ja.«
»Warum?«
»Ich habe meine Gründe, Lisa. Sei nur auf der Hut.«
»Und wer ist der andere?«
Als Lisa Azrhan Doumanis Namen hörte, war sie noch stärker überrascht. »Das kannst du doch nicht ernst meinen, Mutter.«
»Ich habe dir gesagt, ich habe meine Gründe.«
Was hatte es also zu bedeuten, dass er sie jetzt anrief und darauf bestand, zu erfahren, wo ihre Mutter sich befand? Vor allem, wenn er erfuhr, dass es ihre Mutter für angebracht gehalten hatte, in Bezug auf ihr Ziel zu lügen: Würde ihm das irgendwie verraten, dass sie beschlossen hatte, sich bei Agrenomics einzuschleichen? Sie sah nicht, wie, aber die Möglichkeit bereitete ihr Sorgen, besonders nachdem ihre Mutter so sehr darauf bestanden hatte, dass sie es ihm nicht sagen sollte. Ich muss ihr erzählen, was passiert ist, sagte sie sich immer wieder.
Als sie wieder beim Spiegel vorbeikam, ertappte sie sich wieder beim Nägelkauen. Anstatt aufzuhören, änderte sie diesmal einfach die Route und wanderte jetzt vor und zurück, wo sie weiterknabbern und es vermeiden konnte, von ihrem Spiegelbild verfolgt zu werden.
»Verdammt, ruf an«, murmelte sie. »Lies deine Nachrichten und ruf mich an.«
Zuerst bemerkte sie den Schmerz, der sich durch das Zentrum ihres Schädels bohrte. Dann schoss er durch ihre Schädeldecke, hinter den Augen durch und bis in ihren Nacken. Einen Augenblick später verkrampften sich die Muskeln in ihren Armen und Beinen, die so lange in derselben Position fixiert gewesen
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