Der Unsichtbare Feind
konnte. Sie hatte bereits beschlossen, dass es am besten wäre, auf der Rückseite des Gebäudes über den Zaun zu steigen, wo die Schatten am tiefsten waren.
In der Feme hinter ihr erklang das Gelächter von Männern. Sullivan ging wieder in Deckung und drückte sich an das Fundament des Gebäudes gegenüber der niedrigen Reihe immergrüner Gewächse, aus denen sie gerade ihre Proben entnommen hatte. Wieder bedeckte sie ihr Gesicht mit den schwarzen Handschuhen und spähte zwischen den Fingern hindurch. Sie waren tatsächlich umgekehrt und gingen den Zaun in der anderen Richtung entlang. Zu ihrem Entsetzen sah sie, wie die beiden im rechten Winkel nach links abbogen und direkt auf die Stelle zugingen, wo sie lag.
Himmel! Haben sie mich gesehen?, dachte sie voller Panik. Sie sah schon die Schlagzeilen vor sich, wenn sie erwischt würde. Berühmte Genforscherin wegen unbefugten Eindringens entlassen!
Dann fiel ihr wieder ein, dass diese Männer bewaffnet waren. Sie werden mich schon nicht kaltblütig erschießen, beruhigte sie sich selbst. Aber Wachmänner mit Waffen könnten diese instinktiv ziehen, wenn sie durch irgendetwas im Schatten aufgeschreckt würden. »Mannomann«, flüsterte sie fast unhörbar und überlegte eine Sekunde lang, ob es besser wäre, zu rufen und sich zu ergeben, bevor durch Zufall irgendein Unglück geschah. Eine Sekunde später hatte sie es sich anders überlegt. Nein, verdammt noch mal. Dann wären Agrenomics und Morgan, dieser selbstgefällige Bastard, aus dem Schneider. Sollen seine Wachen mich doch finden, wenn sie können. Ich bleibe genau hier! Außerdem ist es nicht wahrscheinlich, dass sie auf mich schießen, wenn sie mich entdecken.
Außerdem hatte sie für acht Uhr auf dem Parkplatz ein Ablenkungsmanöver arrangiert, falls sie es bis dahin nicht bis zu dem Wagen zurück geschafft hatte, der an einem vereinbarten Treffpunkt auf sie wartete. Sie warf einen kurzen Blick auf das Leuchtzifferblatt ihrer Armbanduhr. 7.57 Uhr. Halte nur still, sagte sie zu sich selbst und hoffte, dass sie mit ein wenig Glück immer noch unentdeckt und mit heilen Proben herauskommen würde.
Sie konnte jetzt Gesprächsfetzen der Männer aufschnappen, während diese näher kamen.
»… wann fangen die wöchentlichen Auslieferungen an? …«
»… wie es aussieht, früh im neuen Jahr …«
»… immer am selben Tag? …«
Sie gingen bereits an der Rückwand entlang, noch ungefähr 20 Meter von ihr entfernt. Ihre Silhouetten zeichneten sich gegen das Streulicht hinter ihnen ab; ansonsten standen sie in vollkommener Dunkelheit. Sie rechnete sich aus, dass sie ihr in ungefähr 20 Sekunden auf den Kopf treten würden. Sie hatte kaum angefangen, zurückzurutschen, als die beiden plötzlich stehen blieben und irgendetwas am Gebäude inspizierten. Jetzt waren sie dicht genug herangekommen, dass sie alles hören konnte.
»… sie werden uns zeigen, wie man mit diesen Schläuchen umgeht. Morgan will nicht, dass die Jungs von der Bahn mit dem Zeug arbeiten.«
»Bist du sicher, dass das ungefährlich sein wird?«
»Mit den Klamotten, die wir dann anhaben, schon.«
Einer von ihnen zündete ein Streichholz an, und ein goldenes Porträt seines Gesichts leuchtete in der Dunkelheit auf. Seine Haut hatte tiefe Pockennarben, und die winzigen Krater lagen in flackernden, runden Schatten. Wie eine Mondlandschaft, dachte sie, versteinert durch seinen Anblick. Die Haut zwischen seinen Augen legte sich in tiefe Furchen, während er mit den Händen die Flamme umschloss und hastig zwei Züge von der Zigarette nahm, die ihm aus dem Mundwinkel hing. Dann verschwand die Erscheinung.
Sie hatten kaum ihre Untersuchung wieder aufgenommen, als ein Störgeräusch erklang. Der Wachmann mit der Zigarette griff nach dem Walkie-Talkie an seinem Gürtel. »Was ist los?«, fragte er.
Durch das Rauschen und Knacken von Funkstörungen kam die Antwort. »Wir haben da ein paar Kids, die gerade auf den Parkplatz gefahren sind und knutschen. Wahrscheinlich ist es nichts, aber ihr solltet doch in der Nähe sein, für alle Fälle.«
»Roger. Wir sind auf dem Weg.«
Die beiden rannten in die Richtung, aus der sie gekommen waren, bogen um die Ecke und waren Sekunden später außer Sicht.
Sullivan grinste breit, wusste sie doch, dass die ›Kids‹ Lisa, ihre 17-jährige Tochter, und Abe, Lisas neuester Freund, waren. Rasch sprang sie auf, aber bevor sie zum Zaun auf der Rückseite lief, ging sie an der Wand entlang, um zu sehen, was
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