Der Unsichtbare Feind
wahrzunehmen, wie eine breite Holztür an der Seite des Gebäudes sich immer wieder öffnete und gegen die Wand schlug.
Da sie niemanden entdeckte, stand sie wieder auf, kletterte auf die wacklige Barrikade, hinter der sie sich versteckt hatte und die nun bedenklich unter ihrem Gewicht schwankte, und sprang auf dem Hof zu Boden.
Sekunden später lag sie vor dem Stall auf den Knien und begann, hastig Erdklumpen, Grasbüschel und Pflanzenteile in ihre Probenschachteln zu stecken. Wenn es mir nur gelingt, Spuren von Genvektoren in diesen Proben zu finden, dachte sie, während sie arbeitete, dann könnte ich zumindest nachweisen, dass sie in der Nähe der infizierten Vögel sind. Nicht gerade ein Volltreffer, aber immerhin das erste Glied einer Indizienkette.
Als Nächstes sammelte sie eine Hand voll getrockneter Maiskörner auf. Wahrscheinlich Reste von Hühnerfutter, vermutete sie und verstaute sie sorgfältig. Ein weiterer, lauter Knall der Tür hinter ihr ließ ihr Herz wieder bis zum Halse schlagen. »Mein Gott!«, murmelte sie, beruhigte ihre Nerven und bedauerte gleichzeitig, dass ihre Beziehung zu Steve sich so weit abgekühlt hatte, dass sie sich dagegen entschieden hatte, ihn um seine Begleitung zu bitten.
Seitdem sie nicht mehr mit ihm schlief, war es für sie beide schwierig geworden, irgendetwas zusammen zu unternehmen. Sie dachte, dass er gelassener damit umgehen würde, aber anfänglich konnte er ihre Entscheidung überhaupt nicht akzeptieren und bedrängte sie, seine Geliebte zu bleiben, bis sie sich nicht mehr wohl fühlte, wenn er nur in ihre Nähe kam. Sie hatte vermeiden wollen, dass ihre Freundschaft in die Brüche ging, doch genau das schien unausweichlich zu sein. Einige Wochen später aber nahm er sich zusammen, entschuldigte sich schließlich bei ihr und wurde langsam wieder so freundlich und fröhlich wie zuvor. »Bitte vergib einem mittelalten Mann seine Dummheit, Kathleen«, hatte er sie eines Tages bei einer Tasse Kaffee in der Cafeteria des Universitätsgebäudes gebeten. »Bitte schreib es dem tiefen Eindruck zu, den du auf einen älter werdenden Wüstling gemacht hast. Und ich kann dir versichern, ich bin nicht dumm genug, dass ich unsere Arbeitsbeziehung durch Gefühle kaputtmachen würde. Du hattest absolut Recht – sie ist viel zu wichtig.«
Die Fortsetzung ihrer Zusammenarbeit hatte sich allerdings als schwierig erwiesen, besonders bei der Vektoruntersuchung. Zu oft wurden ihre Debatten über legitime wissenschaftliche Anschauungsunterschiede so gefühlsbeladen, dass keiner von beiden in der Anwesenheit des anderen noch objektiv sein konnte. Aber am Ende wurden die Streitereien seltener, und es gelang ihnen, das Projekt der Vollendung näher zu bringen, nachdem sie die ersten schwierigen Schritte zur Beendung ihrer Affäre getan hatten. Sie hatte sich sogar die Hoffnung gestattet, dass sie mit der Zeit vielleicht wieder ein effektives Team werden könnten.
Das war auch der Grund, warum sie seine ›Ich habe es dir doch gleich gesagt‹ -Haltung heute so wütend gemacht hatte. Nach all ihren hart erkämpften Bemühungen, Kollegen, wenn nicht sogar Freunde zu bleiben, war es für sie wie ein Schlag ins Gesicht gewesen. Was für ein Schlamassel, dachte sie und bereute, dass sie es ihm überhaupt je erlaubt hatte, sie zu verführen.
Richard Steele andererseits interessierte sie. Am Abend zuvor, als sie ihn über die Konferenz informiert hatte, war sie ungemein beeindruckt gewesen, wie schnell er alles erfasste, was sie diskutierten. »Sie lernen schnell«, lobte sie ihn, als sie mit allem durch waren.
»Sie sind eine gute Lehrerin«, gab er das Kompliment zurück, ließ die übermäßig ernste Miene fallen, die er bis dahin aufgesetzt hatte, und überraschte sie mit einem plötzlichen Lächeln.
Wow! Das sollten Sie öfter machen, wäre sie beinahe herausgeplatzt, völlig überrascht, wie viel attraktiver er durch diese Veränderung wurde. »Na ja, danke schön«, sagte sie stattdessen.
Danach unterhielten sie sich noch ein wenig über Berufliches, New York, Universitätspolitik und besonders über die Auswirkungen ihres Faches auf die medizinische Praxis, bis er sich auf den Jetlag berief und sich von ihr verabschiedete. Aber bis dahin hatte sie ihn bereits als einen Mann eingeschätzt, der mit ihrem eigenen scharfen Intellekt jederzeit Schritt halten konnte. Seit ihrer Scheidung vor fünf Jahren hatte sie einige Affären gehabt, aber die Beziehungen waren immer an ein und
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