Der unsichtbare Feind (German Edition)
sie einen Mann in altmodischem Anzug begleitet von
zwei uniformierten Polizisten die Treppe hinaufeilen.
„Kindchen können Sie mir
helfen?“, ertönte eine hohe Stimme. Tanja schrak auf. Ihr Körper verkrampfte
sich willkürlich.
Erleichterung stieg in ihr
hoch, als sie im Stock unter ihr eine alte Dame, mit Faltrock und
Stützstrümpfen sah, die gebückt einen karierten Trolley hinter sich herzog.
„Mir scheint“, fuhr die Frau
fort, „sie sind ein wenig Durcheinander.“
„Achso, ja, Entschuldigung“,
stammelte Tanja.
„Können Sie mir mit meinem
Wagen helfen, es schein als wäre ein Rad gebrochen. Mein Einkauf muss doch in
den Kühlschrank, bevor das Fleisch schlecht wird.“
Nach kurzem Zögern hastete
Tanja die Treppen hinab zu der Frau: „Lassen Sie mich das einmal ansehen.“
Tanja bückte sich zum
Trolley hinab, den Rücken dem Stiegenaufgang zugewandt, und untersuchte ihn
geschäftig, während die Schritte der Beamten immer deutlicher zu hören waren.
„Sehen Sie was?“, wollte die
Dame wissen, die besorgt ihre ohnehin faltige Stirn in noch mehr Falten legte.
„Nein, noch nicht“,
antwortete Tanja.
Mittlerweile hatte der erste
der Beamten, der Mann in Zivil mit dem abgetragenen Anzug, den Treppenabsatz unterhalb
erreicht.
„Mein Wagen ist defekt“, stellte
sich die alte Dame dem Mann in den weg, während sie ihre Dritten im Mund hin
und her schob.
Tanja macht sich so klein sie
konnte, vor dem alten Trolley, zeigte den herauflaufenden Männern nichts als
ihren Rücken.
„Vielleicht, Kindchen“,
blickte sie zu Tanja herab, „kann uns der nette Mann helfen. Männer verstehen
mehr von Technik als wir.“
Der Mann seufzte tief,
während seine Kollegen bereits zu ihm aufgeschlossen hatten. Mit einer knappen
Handbewegung veranlasste er die beide Uniformierten ihm zu folgen und sich
nicht weiter, um die alte Dame zu kümmern.
Einer nach dem anderen
passierte Tanja und die alte Dame, ohne Notiz von der Mordverdächtigen zu
nehmen, die vor ihren Augen auf dem Boden kauerte und geschäftig den Trolley
untersuchte.
Als die Männer außer
Sichtweite waren, sprang Tanja auf, entschuldigte sich bei der Frau, die einen
verständnislosen Blick aufsetzten, und rannte nach unten. Sie hatte das
Erdgeschoss kaum erreicht, als sie die Worte „hier ist niemand“, von den Wänden
des Stiegenhauses widerhallen hörte.
Tanja öffnete die Eingangstür
und trat auf den neuen Markt, als wäre alles in bester. Zielstrebig ging sie
den Gehsteig entlang, vorbei am Donnerbrunnen. Ihr Herz pochte wie ein
Presslufthammer gegen ihren Brustkorb. Wie ein Roboter setzte sie einen Fuß vor
den anderen und bemühte sich nicht zu laufen, nicht aufzufallen. Immer wieder
musste sie sich selbst bremsen. Wenige Meter trennten sie von der nächsten
Kreuzung, als das bekannte Knarren des Holztores, durch das sie selbst gerade
auf den neuen Markt geschlüpft war, an ihre Ohren drang.
Sie wagte einen Blick zurück
und sah die Beamten, die auf den Platz strömten und verzweifelt nach ihr Ausschau
hielten.
„Da ist sie“, rief einer der
Uniformierten und richtete seinen Zeigefinger auf Tanja, während ein anderer
hastig in sein Funkgerät brüllte.
Ohne vorzusehen, lief sie
los, so schnell sie ihre Beine trugen. Sie umkrampfte die Träger ihrer
Handtaschen so fest sie konnte, während sie einen Zickzackparkour durch die
Menschenmasse lief, die ihr entgegenströmte.
Vor Tanja türmte sich der Südturm
des Stephansdomes hinter den nahtlos aneinandergereihten Altbauten und Einkaufspassagen
gegen den Himmel, dessen quadratischer Grundriss allmählich in die Form eines
Achteckes überlief.
Es schien fast so, als würde
das spitz zusammenlaufende Dach den Himmel berühren und Tanja neuen Mut
zuflüstern.
In das Sausen des Windes der
sie umwaberter, mischte sich der Klang von Polizeisirenen. Ohne es zu wagen
sich umzudrehen, lief sie um die Häuserecke auf den Stephansplatz. Nachdem sie
sich kurz orientiert hatte, entschied sie sich die Rotenturmstraße, die links
am Dom vorbeilief und auf direktem Weg zum Schwedenplatz führte, zu nehmen. Widerwillig
warf sie einen Blick zurück. Einer der Beamten, ein Mann so groß wie ein
Wandschrank, dessen kahl geschorener Kopf von einer blauen Tellerkappe bedeckt
war, versuchte sich mit geringem Erfolg durch die Menschenmassen zu kämpfen. Tanja
hastete an einer Gruppe japanischer Touristen vorbei, die die Nordseite des
Doms mit Blitzlichtgewitter eindeckten.
An der nächsten
Weitere Kostenlose Bücher