Der unsichtbare Killer
neuere, größere Frachthafen ein Stück weiter die Küste entlang gebaut worden war. Beim Umzug in einen neuen Apartment-Komplex im Los-Geranios-Tal war Emily immer noch bei ihm; inzwischen benutzte sie das freie Zimmer nicht mehr.
Saul hatte nie ganz verstanden, wieso es dazu gekommen war. Es gab viel bessere Partien als ihn, selbst unter den einfachen Angestellten, ganz zu schweigen von denjenigen im mittleren Management. Sie waren alle jünger, smarter, reicher. Aber etwas verband Saul und Emily miteinander. Und er konnte ihr wirklich vertrauen, womit er so schnell nicht gerechnet hatte – wenn überhaupt. In einer winzigen Hinsicht wirkte sich das Alter außerdem zu seinen Gunsten aus; er hatte im Laufe der Jahre genug gelernt, um zu erkennen, wann er eine echte Chance zum Glück vor sich hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben vermasselte er eine Beziehung nicht.
Bis jetzt, dachte er bitter. Aber wieder war das Alter auf seiner Seite, denn wenn er sonst schon nichts gelernt hatte, dann wenigstens, dass er ein störrischer kleiner Dreckskerl sein konnte. Und das, was in der Nacht zuvor passiert war, musste sein Leben und seine Familie nicht zwangsläufig beeinträchtigen – nicht, wenn er jetzt einfach die Nerven behielt.
Saul dachte an die letzten Stunden zurück, überdachte sorgfältig, was er getan, gesagt und gehört hatte. Nichts von alldem war besonders belastend. Nicht von einer gesetzlichen Perspektive aus. Es war Emily, um die er sich Sorgen machte. Wenn sie es erführe, was würde sie denken? Immerhin war dies sein ehemaliges Leben. Zwanzig Jahre lang hatte er keine Sekunde lang geglaubt, dass es jemals zum Problem werden könnte.
Also … vielleicht sagte er ihr doch besser nichts. Auch wenn sie wissen würde, dass irgendwas los war – er konnte es immer noch darauf schieben, dass Duren wieder in sein Leben getreten war.
Er nickte langsam, überzeugte sich, dass es nicht ganz so schlecht stand, wie er gedacht hatte. Der Schock hatte ihn benommen gemacht, ihn durcheinandergebracht. Er musste lediglich den Mund halten und aufhören, sich wie ein neurotisches Wrack zu verhalten. Ich kann das tun. Ich kann es.
Ein Kommunikations-Icon tauchte in seinem Raster auf. Er musterte es eine Sekunde lang ungläubig. »Bestätige Identität des Anrufers«, wies er seine E-I an.
»Duren.«
»Das muss ein verfluchter Scherz sein«, knurrte Saul. Es kostete ihn alle Mühe, nicht aufzuspringen und nachzusehen, ob der große Mann irgendwo da draußen in den Dünen war und ihn ausspionierte. Er brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen – wenn es um Duren ging, war es nie gut, in gereizter Stimmung loszustürmen. Er griff mit einer Hand in den Keyspace, den seine Iris-Smartcells heraufbeschworen, und drehte das Icon herum. »Das ist zu früh, verdammt«, sagte er. Greife als Erster an, halte deinen Gegner in der Defensive.
»Ich weiß, Mann«, erwiderte Duren. »Ich hätte nicht angerufen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre, das wissen Sie, oder?«
»Was zur Hölle ist morgens um diese Zeit so wichtig?«
»Wir müssen uns Ihr Boot ausleihen.«
»Was?«
»Ihr Boot, Mann.«
»Das ist lächerlich.«
»Ich wünschte, das wäre es, Mann, wirklich, aber wir brauchen es. Jetzt.«
»Wofür?« Aber noch während er fragte, wusste Saul, dass er darauf keine Antwort erhalten würde, zumindest nicht die zutreffende. Er musste sich so entscheiden, ob er ihnen das Boot überlassen wollte; ja oder nein. Der Grund war irrelevant.
»Wir möchten nur vor allen anderen aufs Meer raus. Wenn Sie es uns jetzt geben, können Sie wieder zuhause sein, ohne dass Ihre Familie gestört wird.«
Mistkerl! Verdammter, dreckiger Mistkerl. Aber … Duren und Zebediah und Zulah boten eine perfekte Möglichkeit, Emilys Aufmerksamkeit abzulenken. Er konnte vom Jachthafen zurückkehren und zugeben, dass Duren wieder in sein Leben geplatzt war.
Der Jachthafen Rueda befand sich am anderen Ende von Velasco Beach und dem alten Hafen. Da Sirius gerade angefangen hatte, seine Strahlen durch die Ränder der Ringe zu schicken, glühte die gewölbte Betonmauer des Hafens in einem hellen, pinkfarbenen Licht. So früh am Morgen hatte Saul keine zwanzig Minuten für die Strecke zum Eingang gebraucht. Auf dem Parkplatz vor dem Clubhaus standen lediglich eine Hand voll Autos von leidenschaftlichen Bootseigentümern, die die ganze Nacht auf See waren. Duren und Zulah standen neben einem großen alten Renault Pick-up, neben dem der Rohan zum
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