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Der unsichtbare Mond

Der unsichtbare Mond

Titel: Der unsichtbare Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Owen
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kaltem Eisen. Und wenn er es findet, kann er es vielleicht von Neuem zum Schlagen bringen… wenn ihm das gelingt, wird er über das Herz gebieten und damit über die ganze Welt.«
    Shingos Augen verschleierten sich – er starb, doch er sprach weiter, als beschreibe er Bilder aus einer Vision. »Die Meere und Seen waren sein Blut; die Erde sein Fleisch; die Berge aus seinen Knochen gemacht; die Felsen und Kiesel entstanden aus seinen Zähnen und Knochensplittern. Von allen Teilen seines Körpers wurde nur das Herz nicht verwandelt, denn es allein trug die Macht in sich, ihn wieder zu heilen. Wenn es gefunden wird, dann öffnet sich eine Tür, damit seine Kinder, die lange von diesem Ort verschwunden waren, zurückkehren können, um den Körper ihres Vaters wieder zusammenzusetzen. Und wenn das geschieht, wird es das Ende von allem sein.«
    »Wer? Wessen Kinder? Hagens? Wonach sucht er?«
    Shingo deutete mit einem krallenförmigen Finger auf Herold. »Frag ihn… Frag den Herold… Der Herold weiß…«
    Es gab keinen letzten Atemzug, kein Todesröcheln. Sogar sein ausgestreckter Arm blieb in der Luft hängen. Doch er war tot.
    »Herold, was bedeutet das? Wovon hat er gesprochen?«
    Keuchend und mit schwindendem Bewusstsein wandte Herold sein Gesicht dem Klang ihrer Stimme zu. »Wir haben versucht, es dir zu sagen, Reedy. Unter den Papieren, den Papieren, die wir in der Bibliothek gefunden haben… war ein Artikel von deinem… von Michael, der nur ein Jahr vor dem Festival in Bayreuth veröffentlicht wurde. Es ging um ein altes Schriftstück namens Upsala-Tanz. Hagen – ich meine, Galen – schrieb in einer Randbemerkung zu dem Artikel, dass er glaube, das Gedicht beziehe sich auf den Schatz der Nibelungen, Reedy – den wirklichen Schatz. Und wenn er Recht hat, dann ist der Schatz nach dem Hagen sucht – der Schatz der Nibelungen – überhaupt kein Gold.«
    »Was ist er dann, wenn nicht Gold?«
    Herold hatte Schaum vor dem Mund. Speichel besprenkelte sein Gesicht, und das Blut begann ihm aus Ohren und Mund zu fließen. Das Sprechen strengte ihn an, und er war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. »Verstehst du denn nicht? Er sucht nach dem Herz – nach Ymirs Herz.«
    »Was bedeutet das?«
    »Sie kommen zurück. Die Riesen kehren auf die Erde zurück.«

 
EPILOG
Zunehmender Halbmond
     
    Wann immer sich Meredith in ihrem Leben an einem Scheideweg befand, gelang es ihr normalerweise stets, Trost in der einen oder anderen Schrift von C. S. Lewis zu finden. Das Buch, das sie im Augenblick las (mit einem überaus passenden Thema und Titel) war Lewis’ »All the Road before me«. Eine Aufzeichnung seiner Reisen von der Collegezeit bis zum Höhepunkt seiner Karriere als Schriftsteller und Lehrer. Es war eine angenehme Erholung von den grausigen Ereignissen der letzten Tage – Meredith hätte nicht gewusst, wie sie ohne es hätte auskommen sollen. Nach den schrecklichen Geschehnissen im Soame’s war sie so verstört gewesen, dass sie nach Hause ging und einen ganzen Liter Stracciatella-Eiscreme aß, und die Leber zweier Kinder, die sie in der Garage aufstöberte, wo sie sich versteckt gehalten hatten. Sie konnten allesamt von Glück reden, dass der Greif sie nicht gefangen hatte. Greife brauchen eine Ewigkeit, um ihre Beute zu töten; außerdem sind sie geizig und teilen nicht.
    Meredith holte Lewis’ Buch wegen der Eiscreme hervor – es deprimierte sie, wenn sie auf diese Weise die Kontrolle verlor. Sie musste daran arbeiten, ihre Prioritäten und ihre Selbstdisziplin besser in den Griff zu bekommen; schließlich war sie nun nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich. Shingo hatte ihr den Vater genommen und einen großen Teil ihrer Unschuld und ihres Vertrauens – doch er hatte sie nicht allein gelassen.
    In Merediths Bauch regte sich etwas. Vielleicht spürten sie das große Abenteuer, das gerade erst begann; vielleicht fürchteten sie, die besten Abenteuer seien bereits vorüber.
    Meredith gurrte besänftigend, um ihre Kinder zu beruhigen. Es würde viele weitere Abenteuer geben. Sie mussten sich auf einiges gefasst machen.
    »Schh, meine kleinen Reifriesen. Seid still und schlaft. Schlaft und lebt und werdet stark wie der Körper eures Vaters. Und mit der Zeit, wenn ihr bereit seid, werden wir euren geliebten Vater rächen.«
    Die verbliebenen Reste der Bevölkerung von Silvertown waren am Morgen erschienen, um bei den Aufräumarbeiten im Soame’s zu helfen. Delna war damit beschäftigt, Glen

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