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Der unteleportierte Mann

Der unteleportierte Mann

Titel: Der unteleportierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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vergrabene Döschen . . . und genau in
diesem Augenblick zerplatzte ein gedämpftes Flopp! nahe bei seinem
Gesicht, während der AHS- Soldat über ihm sich schon wieder
krümmte, um neu anzule- gen und noch einmal zu feuern.
Ein Hochgeschwindigkeitspfeil wackelte mit den Steuerflossen,
während er auf ihn zu trudelte. Er war, so bemerkte er,
während er beobachtete, wie das Geschoß sich auf ihn
herabsenkte, ein Pfeil mit LSD-vergifteter Spitze; das halluzinogene
Alkaloid-Derivat des Mutterkorns bildete — und das schon seit
seiner Einführung in das Feld der Kriegswaffen — ein
einzigartiges Mittel, den Feind in einen Zustand zu versetzen, in dem
er vollständig handlungsunfähig war: Statt ihn zu vernichten,
vernichtete das LSD, von dem Pfeil intravenös injiziert, seine
Welt.
Scharfer, rascher Schmerz schnupperte nach seinem Arm; der Pfeil hatte
sich in ihn versenkt, hatte sich erfolgreich verankert. Das LSD war in
seinen Blutkreislauf eingetreten. Ihm blieben jetzt nur noch wenige
Minuten, diese Feststellung allein setzte im allgemeinen das Opfer
schon außer Gefecht: unter Bedingungen wie den hier herrschenden
zu wissen, daß sehr bald die gesamte Ich-Struktur, das Weltbild,
das sich Stufe um Stufe im Lauf der Jahre seit der Geburt
herausgebildet hatte . . .
Seine Gedanken hörten auf. Das LSD hatte das Rindengewebe des
Stirnlappens erreicht, und alle abstrakten Denkprozesse waren sofort
erloschen. Er sah immer noch die Welt, sah den AHS-Soldaten
gemächlich das Pfeilgewehr nachladen, die wogenden Wolken atomar
verseuchter Asche, die halb zerstör- ten Gebäude, die
ameisengleich dahinhuschenden Gestalten hier und da. Er konnte sie
erkennen und begreifen, was jedes für sich genommen war. Aber
darüber hinaus — nichts.
Farbe, dachte Rachmael, als er die Veränderung im Gesicht des
AHS-Soldaten sah; die Farbveränderung — sie hatte bereits
eingesetzt. Schnell brachte ihn die Droge dem Zerfall näher; in
seinem Blutstrom hetzte sie ihn auf das Ende seiner Existenz in der von
allen geteilten Welt zu. Für mich, so wußte er, ist dies
— aber er konnte es nicht einmal denken, die Schritte eines
logischen Gedankens ausführen. Bewußtsein war da, Wissen um
das, was geschah. Er verfolgte, wie die Lippen des AHSSoldaten zu einem
grellen, schimmernden Glänzendrosa, einem reinen Leuchten wurden;
dann trieben die Lippen, einen perfekten Bogen bildend, davon,
lösten sich von dem Gesicht des Soldaten und ließen die
gewöhnlichen farblosen Lippen zurück: Eine Gehirnhälfte
Rachmaels hatte das LSD aufgenom- men und war ihm unterlegen,
zweifellos die rechte, da er Rechtshänder und die Hemisphäre
auf dieser Seite deshalb die undifferenziertere von beiden war. Die
linke hielt noch stand, sah noch die irdische Welt; selbst jetzt noch,
da sie des abstrakten Denkens beraubt waren, nicht länger
erwachsener zerebraler Prozesse mächtig, kämpften die
höheren Zentren der linken Gehirnhälfte darum, das Bild der
Welt, wie sie es kannte, zu stabilisieren — kämpften, obwohl
sie wußten, daß binnen Sekunden dieses Bild nun weichen,
zusammenbrechen würde, um wie in einer endlosen Flut die
Gesamtheit roher, unverarbeiteter Sinnesdaten hereinzulassen,
unkontrolliert, unstrukturiert, ohne Bedeutung, Sinn oder Ordnung, jede
Größe unverbunden mit den anderen: Der Teil seines Gehirns,
der den hereinströmenden Daten den Rahmen von Raum und Zeit
aufprägte, würde außerstande sein, seine Aufgabe zu
erfüllen. Und mit dem Eintreten dieses Augenblicks würde er
um Jahr- zehnte zurückfallen. Zurück in die anfängliche
Zeit nach der Geburt — den Eintritt in eine völlig
unvertraute, völlig unverständliche Welt.
Er hatte das schon einmal durchlebt. Jeder Mensch hatte das, im
Augenblick der Geburt. Aber jetzt! Jetzt besaß er eine
Erinnerung, ein Gedächtnis der sich auflösenden normalen
Welt. Das und Sprache; das und die Erkenntnis dessen, was bald aus
alltäglicher und gewärtiger Erfahrung werden würde. Und
wie lange, subjektiv betrachtet, das anhalten würde. Wie lange es
dauern würde, bis er seine gewohnte Welt wieder zurückgewann
— wenn er sie überhaupt zurückgewann.
Der AHS-Soldat, der inzwischen seine Waffe nachgeladen hatte, entfernte
sich, schon auf der Suche nach dem nächsten Ziel, er gab sich
nicht länger damit ab, Rachmael zu beachten. Er wußte
ebenfalls, was ihm, Rachmael, bevorstand. Rachmael konnte man nun
getrost vergessen; selbst jetzt schon lebte er nicht mehr in der von
allen geteilten Welt,

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