Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unteleportierte Mann

Der unteleportierte Mann

Titel: Der unteleportierte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
fühlte, wie sie wieder und wieder
darüberstrich, ihre Schwingungen in jenen dunklen Abschnitt
ausschwärmen ließ, ohne etwas zu übersehen; sie wollte,
sie würde jetzt alles annehmen, sie war verzweifelt. Und immer
noch, Jahr um Jahr, die leeren Kästchen, wo einmal Worte, viele
davon, gewesen waren, aber jetzt nicht mehr waren.
Dann sprach er: »Tremens factus sum ego et timeo.« Denn vom
Rande seines Gesichtsfeldes her hatte er einen flüchtigen, aber
klaren Eindruck vom Fortschreiten des strahlenden, auf Licht
gegründeten Dramas aufgefangen, das lautlos abrollte.
»Libere me«, fuhr er fort und wiederholte es einmal,
zweimal, dann immer weiter, ohne Ende. »Libere me Domini«,
sprach er, und er lauschte hundert Jahre lang, betrachtete die
Ereignisse, die stumm vor ihn hingestellt wurden, bezeugte sie bis in
alle Ewigkeit.
»Laß mich los, du Bastard«, schimpfte der AHS-Soldat.
Seine Hände packten Rachmaels Hals, und der Schmerz überstieg
alles Vorstellungsvermögen; Rachmael ließ los, und das
Gesicht verhöhnte ihn mit boshaftem Haß. »Und
genieß dein erweitertes Bewußtsein!« spottete der
Soldat mit so überwältigender Gehässigkeit, daß
Rachmael durch und durch unerträgliche körperliche Qual
spürte, die kam und ihn nicht mehr verließ. »Mors
scribitum«, flehte Rachmael den AHS-Soldaten an. Er wiederholte
es, aber es erfolgte keine Antwort. »Misere me«, versuchte
er dann; er hatte nichts anderes zur Verfügung, nichts, wovon er
hätte Gebrauch machen können. »Dies Irae«, sagte
er in einem Versuch, zu erklären, was in ihm geschah. »Dies
lila.« Er wartete hoffnungsvoll; er wartete Jahre, aber keine
Hilfe, kein Laut, kam. Ich schaff's nicht, begriff er
schließlich. Die Zeit ist zum Ende gekommen. Es gibt keine
Antwort. »Mach's gut«, meinte das Gesicht da. Und begann
zurückzuweichen, sich zu entfernen. Der Soldat ging weg!
Rachmael schlug ihn. Zerschmetterte den Mund. Zähne barsten;
Stücke von zersplittertem Weiß strömten aus und ver-
schwanden, und Blut, das wie ein Strom neuen, makellosen Feuers mit
blendender Flamme strahlte, zeigte sich und erfüllte sein
Gesichtsfeld; die von dem Blut ausstrahlende Leuchtkraft
überwältigte alles, und er sah nur noch sie — ihre
Intensität unterdrückte alles andere, und zum ersten Mal,
seit der Pfeil auf ihn zugekommen war, spürte er Staunen und nicht
Furcht; das hier war gut. Das hier bezauberte und befriedigte ihn, und
er betrachtete es voller Freude.
Nach fünf Jahrhunderten verblaßte das Blut allmählich.
Erneut war nun, verschwommen hinter der atmenden Farbe treibend, das
stumpfe Gesicht des AHS-Soldaten zu erkennen, uninteressant und
unwichtig, ohne jeglichen Wert, weil es kein Licht hatte. Es war ein
ödes und ermüdendes Hirngespinst, lange bekannt, unendlich
langweilig; er verspürte quälende Enttäuschung, als er
sah, wie das Feuer schwächer wurde und die Züge des
AHS-Soldaten sich wieder zusammensetzten. Wie lange, fragte er sich,
muß ich noch diese selbe unerleuchtete Szene sehen?
Das Gesicht jedoch war nicht mehr dasselbe. Er hatte es zerbrochen. Es
mit seiner Faust gespalten. Eine Bresche hinein- getrieben, das
kostbare, blendende Blut herausgelassen; das Gesicht, eine
zerstörte Hülse, glotzte, seines Panzers beraubt; er sah
nicht mehr nur das bloße Äußere, sondern in seine
wirkliche Maschinerie.
Ein anderes, zuvor verborgenes Gesicht wand und zwängte sich
heraus, als wolle es entkommen. Als ob, dachte Rachmael, es
wüßte, daß ich es sehen kann, und das kann es nicht
ertragen. Das ist das eine, was es nicht aushallen kann.
Das innere Gesicht, das aus der gespaltenen grauen Chitinmaske
hervorkam, versuchte jetzt, sich in sich selbst zusammenzufalten,
probierte energisch, sich in sein eigenes halbflüssiges Gewebe
einzuschlagen. Ein nasses, schlaffes Gesicht, aus der See gemacht,
tropfend und gleichzeitig stinkend; er roch seinen salzigen, stechenden
Geruch und verspürte Übelkeit. Das ozeanische Gesicht
besaß ein einziges, viellinsiges Auge. Unter dem Schnabel. Und
wenn es seinen zahnlosen Mund öffnete, teilte die Weite der
Höhlung das Gesicht vollständig; der Mund trennte das Gesicht
in zwei gleiche, nicht miteinan- der verbundene Hälften.
»Esse homo bonus est«, sagte Rachmael und fragte sich
benommen, warum ein so simpler Satz wie Es ist gut, ein Mensch zu sein
in seinen Ohren so merkwürdig klang. »Non homo«,
verkündete er dann dem zerschlagenen, zerspaltenen See- Gesicht,
»video. Atque malus et

Weitere Kostenlose Bücher