Der unteleportierte Mann
beständigen
Weigerung der Landschaft, zu leben: Er wußte, wo er war, und er
erkannte das, was er sah. Es lag außerhalb seines Vermögens,
es nicht zu erkennen.
Dies war die Höllenlandschaft.
Nein, dachte er. Es muß enden. Denn jetzt sah er winzige,
entfernte Figuren, die überall aufsprossen, um die
Höllenlandschaft zu bevölkern, und während sie sich
bildeten, setzten sie die tanzenden, tollwütigen Aktivitäten
fort, die ihnen vertraut waren — und die ihm vertraut waren, als
sei er einmal mehr daheim und wieder Zeuge dessen und wüßte
mit absoluter Gewißheit, daß er in den nächsten
tausend Jahren gezwungen sein würde, genau zu beobachten.
Seine Angst, auf diesen einen Bereich konzentriert und ausgerichtet,
wie ein Auflösungsstrahl der Höllenlandschaft über-
lagert, rollte den Schnee zurück, ließ seine
tausendjährige Tiefe fadenscheinig werden; die Felsen tauchten
wieder auf und zogen sich in die Zeit zurück, um ihre Aufgabe als
Züge eines Gesichtes wieder zu übernehmen. Die
Höllenlandschaft ver- wandelte sich mit gräßlichem
Gehorsam wieder in das, was sie gewesen war, als brauche es beinahe
keine Kraft, sie aus dem Sein zu stoßen, weg von dem Bollwerk der
Wirklichkeit, in dem sie sich einen Augenblick zuvor verschanzt hatte.
Und das ängstigte ihn am meisten von allem: Das verriet ihm eine
schreckliche Neuigkeit. Die bloße Anwesenheit von Leben,
-selbst die kleinste mögliche Menge von Wollen, Wünschen und
Begehren, genügte, um den Prozeß umzukehren, durch den die
ewige Landschaft der Hölle sich bekanntgab. Und das bedeutete,
daß vor nicht allzu langer Zeit, als die Höllenland- schaft
sich erstmals bildete, er ohne jedes Leben gewesen war, und zwar
völlig. .Nicht eine gewaltige Macht von draußen, die
hereindrängte - das war es nicht, dem er sich gegenübersah.
Es gab keinen Gegner. Diese, die schrecklichen Welt-Verwand- lungen in
jede Richtung, waren von selbst eingetreten, als sein eigenes Leben
dahingeschwunden, verblaßt und am Ende — für einen
kurzen Augenblick jedenfalls — ganz erloschen war. Er war
gestorben.
Aber jetzt lebte er wieder.
Wo, wann? Nicht da, wo er vorher gelebt hatte.
Das Gesicht des AHS-Soldaten, vertraut und selbstverständlich,
schwebte in der verjüngten, zusammengezogenen Öff- nung,
durch die sich die Wirklichkeit zeigte, ein Gesicht, das vom Eindringen
der Höllenmerkmale befreit war. So lange, begriff Rachmael, wie
ich dieses Gesicht vor mir habe, bin ich in Ordnung. Und wenn er
spricht. Das würde es schaffen; das würde mich durchbringen.
Aber er wird nicht sprechen, begriff er. Er hat versucht, mich zu
töten; er will, daß ich tot bin. Er hat mich getötet.
Dieser Mann — dieses einzige Verbindungsglied zur Außenwelt
— ist mein Mörder.
Er starrte das Gesicht an; als Antwort stierten die Augen unverwandt
zurück, die Eulenaugen der Grausamkeit, die ihn haßten und
seinen Tod wollten, die wollten, daß er litt. Und der AHS-Soldat
sagte nichts; Rachmael wartete und vernahm keinen Laut, auch nach
Jahren nicht — ein Jahrzehnt verstrich, und ein weiteres begann,
und immer noch wurde kein Wort gesprochen. Oder wenn doch, dann vernahm
er es nicht.
»Möge Gott dich verdammen«, sagte Rachmael. Seine
eigene Stimme drang nicht zu ihm durch; er spürte, wie seine Kehle
unter dem Geräusch erbebte, aber seine Ohren stellten keine
Veränderung fest, nichts. »Tu etwas«, fuhr Rachmael
fort. »Bitte.«
Der Soldat lächelte.
»Dann kannst du mich hören«, stellte Rachmael fest.
»Sogar nach so langer Zeit noch.« Es war unglaublich,
daß dieser Mann immer noch lebte, nach so vielen Jahrhunderten.
Aber er machte sich nicht die Mühe, darüber nachzudenken;
alles, was jetzt wichtig war, war das ununterbrochene Wirklichsein des
Gesichts vor ihm. »Sag etwas«, bat Rachmael, »oder
ich zerbreche dich.« Seine Worte waren nicht richtig, begriff er.
Bedeutungsvoll, vertraut, aber irgendwie nicht treffend; er war ver-
wirrt. »Wie eine Eisenstange«, sagte er, »werde ich
dich in Stücke hauen. Wie das Gefäß eines Töpfers.
Denn ich bin wie eines Veredlers Feuer.« Entsetzt versuchte er,
die Verdrehtheit seiner Sprache zu begreifen, wo war all die vertraute
alltäg- liche ...
Seine gesamte Sprache entschwand in ihm — alle Wörter waren
fort. Irgendein Abtastmechanismus seines Gehirns, irgendeine organische
Suchvorrichtung, strich über Meile um Meile von Leere, fand keine
gespeicherten Begriffe, nichts, wovon sie hätte Gebrauch machen
können. Er
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