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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Energie des nationalen Gemeingefühls die alte Gliederung dieser Urvölker zuletzt völlig überwunden. Wie im
populus Romanus
ganz zweifellos Volksteile von sehr verschiedener Abstammung enthalten sind und wie die Nation der Franzosen die salischen Franken ebenso aufnahm wie die romanischen und altkeltischen Eingeborenen, so kennt die magische Nation die Abstammung nicht mehr als unterscheidendes Merkmal. Das hat sich sehr langsam durchgesetzt, und unter den Juden der Makkabäerzeit wie unter den ersten Nachfolgern Mohammeds spielt der Stamm noch eine große Rolle, aber bei innerlich ausgereiften Naturvölkern dieser Welt wie den Juden der talmudischen Zeit bedeutet er nichts mehr. Wer dem Glauben angehört, gehört zur Nation; es würde frevelhaft sein, ein anderes Merkmal auch nur anzuerkennen. Der Fürst von Adiabene [Südlich von Wansee. Die Hauptstadt ist Arbela, Heimat der Göttin Ischtar.] trat in urchristlicher Zeit mit seinem ganzen Volk zum Judentum über. Damit waren sie der jüdischen
Nation
einverleibt. Dasselbe gilt von dem Adel Armeniens und sogar der kaukasischen Stämme, der damals in großer Zahl jüdisch geworden sein muß, und andererseits von den Beduinen Arabiens bis zum äußersten Süden und darüber hinaus sogar von afrikanischen Stämmen bis zum Tschadsee hin. Ein Zeugnis dafür sind jetzt noch die Falascha, die schwarzen Juden in Abessinien. Das Einheitsgefühl der Nation ist offenbar selbst durch solche Rasseunterschiede nicht erschüttert worden. Es wird versichert, daß Juden unter sich noch heute ganz verschiedene Rassen auf den ersten Blick unterscheiden können und daß man in den osteuropäischen Ghettos »die Stämme« im alttestamentlichen Sinne deutlich erkennt. Aber ein Unterschied der
Nation
ist das nicht. Unter den nichtjüdischen kaukasischen Völkern ist nach v. Eckert [Arch. f. Anthrop. Bd. 19.] der westeuropäische jüdische Typus ganz allgemein verbreitet, nach Weißenberg [Zeitschr. f. Ethnol. 1919.] unter den langköpfigen südarabischen Juden fast gar nicht vorhanden. Die Sabäerköpfe der südarabischen Grabsteinplastik zeigen einen Menschenschlag, den man fast als römisch oder germanisch ansprechen möchte; ihm entstammen die durch Mission mindestens seit Christi Geburt gewonnenen Juden.
    Aber diese Auflösung der nach Stämmen gegliederten Urvölker in die magischen Nationen der Perser, Juden, Mandäer, Christen und andere muß ganz allgemein und in gewaltigem Maßstabe vor sich gegangen sein. Ich hatte schon auf die entscheidende Tatsache verwiesen, daß die Perser lange vor Beginn unserer Zeitrechnung lediglich eine religiöse Gemeinschaft darstellen, und es ist gewiß, daß ihre Zahl durch Übertritte zum mazdaischen Glauben sich unendlich vermehrt hat. Die babylonische Religion ist damals verschwunden – ihre Anhänger sind also teils »Juden«, teils »Perser« geworden –, aber es gibt eine aus ihr hervorgegangene, ihrem inneren Wesen nach neue und der persischen wie jüdischen verwandte Astralreligion, welche den Chaldäernamen trägt und deren Anhänger eine echte, aramäisch redende Nation bilden. Aus dieser aramäischen Bevölkerung chaldäisch-jüdisch-persischer Nation sind sowohl der babylonische Talmud, die Gnosis und die Religion Manis wie in islamischer Zeit, nachdem sie beinahe ganz zur arabischen Nation übergegangen war, der Sufismus und die Schia hervorgegangen.
    Von Edessa aus erscheint nun auch die Bevölkerung der antiken Welt als Nation magischen Stils: »die Griechen« des östlichen Sprachgebrauchs; es ist der Inbegriff aller Menschen, welche den synkretistischen Kulten anhängen und durch das
idjma
der spätantiken Religiosität zusammengehalten sind. Man erblickt nicht mehr die hellenistischen Stadtnationen, sondern nur noch eine Gemeinde der Gläubigen, der »Mysterienanbeter«, die unter dem Namen Helios, Jupiter, Mithras, èå?ò ?øéóôïò eine Art Jahwe oder Allah verehren. Griechentum ist im ganzen Osten ein fester
religiöser
Begriff, und er entspricht durchaus der damaligen Wirklichkeit. Das Gefühl der ðüëéò ist fast erloschen, und eine magische Nation bedarf keines Vaterlandes und keiner Einheit der Abstammung. Schon der Hellenismus des Seleukidenreiches, der in Turkestan und am Indus Proselyten warb, war seiner inneren Form nach dem nachexilischen Judentum und Persertum verwandt. Der Aramäer Porphyrios, Schüler Plotins, hat später den Versuch gemacht, dieses Griechentum als Kultkirche nach dem Vorbilde der

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