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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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jeder König neben seinem Totentempel ein Reheiligtum, jener ein Sinnbild des gerichteten Lebens von der Geburt bis zur Kammer mit dem Sarkophag, dieses eins der großen und ewigen Natur. Zeit und Raum, Dasein und Wachsein, Schicksal und heilige Kausalität stehen in dieser gewaltigen Doppelschöpfung einander gegenüber wie in keiner zweiten Architektur der Welt. Zu beiden führt ein gedeckter Weg empor; der zu Re wird von Reliefs begleitet, welche die Macht des Sonnengottes über die Pflanzen- und Tierwelt und den Wechsel der Jahreszeiten schildern. Kein Götterbild, kein Tempel, nur ein Altar von Alabaster schmückt die mächtige Terrasse, auf die bei Tagesanbruch hoch über dem Land der Pharao aus dem Dunkel tritt, um den großen Gott zu begrüßen, der sich im Osten erhebt. [Borchardt, Reheiligtum des Newoserrê Bd. I (1905). Der Pharao ist nicht mehr Inkarnation der Gottheit und noch nicht, wie in der Theologie des Mittleren Reiches, Sohn des Re; trotz seiner irdischen Größe steht er klein, als Diener vor dem Gotte da.]
    Diese frühe Innerlichkeit geht immer aus dem stadtlosen Lande hervor, aus den Dörfern, Hütten, Heiligtümern, einsamen Klöstern und Einsiedeleien. Hier bildet sich
die
große Wachseinsgemeinschaft der geistig Erwählten, die von dem großen Daseinsstrome des Helden- und Rittertums innerlich durch eine ganze Welt geschieden ist. Die beiden Urstände, Priestertum und Adel, das Schauen in den Domen und die Taten von den Burgen aus, Askese und Minne, Ekstase und vornehme Sitte, beginnen von hier aus ihre eigene Geschichte. Mag der Kalif auch weltlicher Herrscher der Gläubigen sein, der Pharao in beiden Heiligtümern opfern, der germanische König seine Ahnengruft unter dem Dom begründen, nichts hebt den abgrundtiefen Gegensatz von Raum und Zeit auf, wie er sich hier in den beiden Ständen spiegelt. Religionsgeschichte und politische Geschichte, Geschichte der Wahrheiten und der Tatsachen stehen sich unvereinbar gegenüber. In den Domen und Burgen beginnt es, um sich in den stets wachsenden Städten als Gegensatz von Wissenschaft und Wirtschaft fortzusetzen und in den letzten Stufen der Geschichtlichkeit im Ringen von Geist und Gewalt zu enden.
    Aber beide Geschichten bewegen sich ganz auf der
Höhe
des Menschlichen. Das Bauerntum bleibt geschichtslos in der Tiefe. Es begreift die Staaten so wenig wie die Dogmen. Aus der mächtigen Frühreligion heiliger Kreise entwickeln sich in den frühen Städten Scholastik und Mystik, in dem wachsenden Gewirr von Gassen und Plätzen Reformation, Philosophie und weltliche Gelehrsamkeit, in den Steinmassen der späten Großstädte Aufklärung und Irreligion. Der Bauernglaube draußen ist »ewig« und immer derselbe. Der ägyptische Bauer verstand nichts von jenem Re. Er hörte den Namen und verehrte weiterhin, während ein gewaltiges Stück Religionsgeschichte in den Städten vorüberging, seine Tiergötter aus der Thinitenzeit, die mit dem Fellachenglauben der 26. Dynastie wieder zur Herrschaft kamen. Der italische Bauer betete zur Zeit des Augustus, wie er es lange vor Homer getan hatte, und er tut es heute noch. Namen und Sätze ganzer Religionen, die aufblühten und starben, sind aus den Städten zu ihm gedrungen und haben den Klang seiner Worte verändert. Der Sinn blieb ewig derselbe. Der französische Bauer lebt noch in seiner Merowingerzeit: ob Freya oder Maria, ob Druiden oder Dominikaner, Rom oder Genf: nichts berührt das Innerste seines Glaubens.
    Aber auch in den Städten bleibt eine Schicht nach der andern geschichtlich zurück. Es gibt über der primitiven Religion des Landes noch eine Volksreligion der kleinen Leute im Untergrund der Städte und in der Provinz. Je höher eine Kultur steigt, im Mittleren Reich, in der Brahmanazeit, zur Zeit der Vorsokratiker, der Vorkonfuzianer und des Barock, desto enger wird der Kreis derer, denen die letzten Wahrheiten ihrer Zeit wirklicher Besitz sind und nicht nur Name und Schall. Wie viele Menschen gab es, die Sokrates, Augustin und Pascal damals begriffen haben? Die Pyramide der Menschen spitzt sich auch im Religiösen rasch und immer rascher zu, um mit dem Ende der Kultur vollendet zu sein und von da an langsam zu zerfallen.
    Um 3000 beginnen in Ägypten und Babylon die Lebensläufe zweier großer Religionen. In Ägypten wird in der »Reformationszeit« am Ausgang des Alten Reiches der solare Monotheismus als Religion der Priester und Gebildeten fest begründet. Alle alten Götter und Göttinnen –

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