Der Unterhändler
die sterblichen Reste seines Sohnes, unempfindlich für die Kälte und den Regen. Einen Schritt von ihm entfernt stand die First Lady, das Gesicht vom Regen und von Tränen genetzt. Als der Prediger zu den Worten »Auferstehung und ewiges Leben« kam, begann sie zu schwanken.
Neben ihr stand ein Secret-Service-Mann – Bürstenhaarschnitt, gebaut wie ein Mittelstürmer – mit offenem Mantel, um notfalls an die Waffe unter seiner linken Achselhöhle heranzukommen. Er setzte sich über Protokoll und Ausbildung hinweg und umfing sie mit dem rechten Arm. Sie lehnte sich an ihn und weinte in seinen durchnäßten Mantel.
John F . Cormack stand allein da, durch seine Intelligenz und seinen Schmerz von den anderen geschieden, unfähig, bei jemandem Beistand zu suchen, ein Mann in totaler Einsamkeit.
Ein Fotograf, schlauer als die anderen, holte aus einem Hinterhof eine Viertelmeile weit weg eine Leiter und erstieg die alte Windmühle an der Ecke South Prospect Street/South Mill Street. Bevor noch jemand sah, daß er ein Teleobjektiv benutzte, machte er im schwachen Licht der Wintersonne, die einen Strahl durch die Wolken schickte, über die Köpfe der Menge hinweg eine einzige Aufnahme von der Gruppe neben dem Grab.
Dieses Foto nahm blitzartig seinen Weg durch Amerika und um die Welt. Es zeigte John F . Cormacks Gesicht, wie noch niemand es gesehen hatte: das Antlitz eines über seine Jahre gealterten Mannes, krank, müde, leer, eines Mannes, dessen Kräfte erschöpft waren, der bereit war abzutreten.
Später standen die Cormacks am Ausgang des Friedhofs, als die Trauergäste vorüberzogen. Niemand von ihnen war imstande, Worte zu finden. Der Präsident nickte, als verstünde er, und schüttelte ihnen in steifer Haltung die Hände.
Nach den wenigen Menschen aus dem unmittelbaren Familienkreis kamen seine engsten Freunde und Kollegen, angeführt von den sechs Kabinettsmitgliedern, die als wichtigste Mitglieder des Komitees versucht hatten, für ihn die Krise zu bewältigen.
Michael Odell blieb einen Augenblick stehen, nach einem Wort des Mitgefühls ringend, schüttelte dann den Kopf und wandte sich zum Gehen. Der Regen trommelte auf sein gebeugtes Haupt und preßte ihm das dichte graue Haar auf den Schädel.
Jim Donaldson, der kühle, korrekte Diplomat, wurde ebenfalls von seinen Gefühlen überwältigt; auch er konnte den Freund nur mit stummem Mitgefühl ansehen und ihm die kraftlose, trockene Hand schütteln. Dann ging er weiter.
Bill Walters, der junge Justizminister, verbarg hinter formeller Steifheit, was er empfand. Er murmelte: »Herr Präsident, mein Beileid. Ich fühle mit Ihnen, Sir.«
Morton Stannard, der New Yorker Banker, der ins Pentagon eingezogen war, war der älteste der anwesenden Männer. Er hatte schon an vielen Begräbnissen teilgenommen, von Freunden und von Kollegen, aber an keinem wie diesem. Er wollte irgend etwas Konventionelles sagen, aber es entrang sich ihm nur ein »Mein Gott, es tut mir so schrecklich leid, John«.
Brad Johnson, der schwarze Akademiker und Nationale Sicherheitsberater, schüttelte nur den Kopf, als könnte er es nicht fassen.
Finanzminister Hubert Reed überraschte diejenigen, die in der Nähe des Ehepaars Cormack standen. Er war kein Mann, der leicht aus sich herausging, zu schüchtern für offene Gefühlsbekundungen, ein Junggeselle, der nie Frau oder Kinder entbehrt hatte. Aber er starrte durch seine regennassen Brillengläser zu John F . Cormack hinauf, streckte die rechte Hand aus und umarmte dann impulsiv mit beiden Armen seinen alten Freund. Wie von seiner spontanten Geste selbst überrascht, wandte er sich gleich darauf ab und eilte den anderen nach, die in ihre wartenden Wagen stiegen, um sich zum Flugplatz fahren zu lassen.
Der Regen ließ wieder nach, und zwei starke Männer begannen, nasses Erdreich in die Grube zu schaufeln. Es war vorbei.
Quinn erkundigte sich nach den Abfahrtszeiten der Fähren von Dover nach Ostende und stellte fest, daß es für die letzte an diesem Tag zu spät war. Sie verbrachten die Nacht in einem ruhigen Hotel und nahmen am nächsten Morgen am Bahnhof Charing Cross einen Zug.
Die Überfahrt verlief ohne Zwischenfälle. Am späten Vormittag mietete Quinn einen blauen Mittelklasse-Ford, und sie machten sich auf den Weg zu der alten flämischen Hafenstadt an der Schelde, die schon Handelsgeschäfte betrieben hatte, ehe Kolumbus die Segel setzte.
Belgien ist von einem hochmodernen Netz erstklassiger Autobahnen durchzogen; die
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