Der Unterhändler
gegenüber saßen die anderen beiden Männer, ebenfalls in die Lektüre vertieft. Dem Marschall am nächsten saß ein Mann, dessen Loyalität und Engagement von größter Wichtigkeit sein würden, sollte der Suworow-Plan jemals verwirklicht werden der Stellvertretende Chef des GRU , des Nachrichtendienstes der sowjetischen Streitkräfte. Der GRU , der ständig mit seinem größeren Rivalen, dem KGB , im Streit lag, war für alle nachrichtendienstlichen Operationen des Militärs im In- und Ausland, für die Gegenspionage und für die innere Sicherheit der Streitkräfte verantwortlich. Außerdem – und das war für den Suworow-Plan noch wichtiger – unterstanden dem GRU die Truppen besonderer Bestimmung, die Spezialverbände, deren Aktionen in der Startphase des Suworow-Plans sollte er je Wirklichkeit werden – den Ausschlag geben würden. Die Spezialverbände waren es gewesen, die im Winter 1979 auf dem Flughafen Kabul gelandet waren, den Präsidentenpalast gestürmt, den afghanischen Staatspräsidenten ermordet und die sowjetische Marionette Babrak Kamal eingesetzt hatten, die prompt einen zurückdatierten Aufruf an die sowjetischen Streitkräfte herausgegeben hatte, sie sollten ins Land kommen und den »Unruhen« ein Ende bereiten.
Koslow hatte sich für den Stellvertreter entschieden, weil der Chef des GRU ein ehemaliger KGB -Mann war, den man dem Generalstab oktroyiert hatte, und niemand hatte den geringsten Zweifel, daß er andauernd zu seinen alten Kameraden beim KGB rannte und ihnen alles hinterbrachte, womit er dem Oberkommando schaden konnte. Der GRU -Mann war quer durch Moskau mit dem Auto vom GRU -Gebäude unmittelbar nördlich des Zentralflughafens gekommen.
Neben dem GRU -Mann saß einer, der aus seinem Hauptquartier in den nördlichen Vororten gekommen war und dessen Leute für Koslow unentbehrlich sein würden: der Stellvertretende Kommandeur der Luftlandetruppen oder Luftangriffstruppen, der Fallschirmjäger, die nach dem Suworow-Plan über einem Dutzend Städte abspringen und diese für die vorgesehene Luftbrücke einnehmen sollten. Im Augenblick war kein Anlaß, die Truppen der Landesluftverteidigung ins Spiel zu bringen, da ja keine Invasion der Ud SSR bevorstand, ebensowenig die Strategischen Raketentruppen, denn Raketen würde man keine brauchen. Was Motorisierte Schützen, Artillerie und Gepanzerte Fahrzeuge betraf, so verfügte das Oberkommando Süd hier selbst über die nötigen Verbände.
Der GRU -Mann beendete seine Lektüre und blickte auf. Er setzte zum Sprechen an, aber der Marschall hob die Hand, und sie blieben beide schweigend sitzen, bis auch die anderen drei fertig waren. Die Sitzung hatte vor drei Stunden begonnen, und alle vier hatten zunächst eine gekürzte Fassung von Kaminskys Bericht über die Erdölreserven gelesen. Dessen Schlußfolgerungen und Prognosen hatten sie mit um so grimmigeren Mienen zur Kenntnis genommen, als in den seither vergangenen zwölf Monaten mehrere der Prognosen Wirklichkeit geworden waren.
Es gab bereits Kürzungen bei den Treibstoffkontingenten; mehrere Manöver hatten wegen Benzinmangels »verschoben« (abgesagt) werden müssen. Die versprochenen Kernkraftwerke waren nicht wieder in Betrieb genommen worden, auf den sibirischen Ölfeldern waren die Fördermengen immer noch nicht nennenswert gestiegen, und die Exploration in der Arktis war wegen Mangels an Gerät, Fachkräften und Geld noch keinen Schritt vorangekommen. Glasnost und Perestroika, Pressekonferenzen und Ermahnungen des Politbüros waren gut und schön, aber wer Rußland auf Vordermann bringen wollte, mußte sich noch sehr viel mehr einfallen lassen.
Nach einer kurzen Diskussion über den Erdöl-Bericht hatte Koslow jedem der vier Herren ein Exemplar des Suworow-Plans ausgehändigt, der in den neun Monaten seit November von Generalmajor Semskow erstellt worden war. Der Marschall hatte den Plan dann noch weitere drei Monate zurückgehalten, bis nach seiner Einschätzung die Lage südlich der Grenzen sich so weit zugespitzt hatte, daß er bei seinen untergebenen Offizieren auf mehr Verständnis für den kühnen Plan hoffen konnte. Jetzt hatten sie ihn alle gelesen und sahen erwartungsvoll auf. Keiner wollte sich als erster äußern.
»Tja, meine Herren«, sagte Marschall Koslow vorsichtig. »Was meinen Sie?«
»Nun ja«, begann der Stellvertretende Stabschef zögernd, »damit würden wir uns natürlich Erdölvorräte sichern, mit denen wir weit in die erste Hälfte des nächsten
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