Der Unterhändler
tödlich getroffen, gab sich aber noch nicht geschlagen. Zentimeter für Zentimeter kroch er zu der offenen Autotür zurück, tastete dann nach dem Mikrofon unter dem Armaturenbrett und gab krächzend seine letzte Mitteilung durch. Er hielt sich nicht mit Kennwörtern, Codes und den sonstigen Vorschriften für den Polizeifunk auf; dafür blieb ihm keine Zeit. Als fünf Minuten später Hilfe kam, war er bereits tot. Er hatte nur noch sagen können: »Hilfe … wir brauchen Hilfe hier. Jemand hat gerade Simon Cormack entführt.«
4. Kapitel
Nach dem Funkspruch des sterbenden Agenten des amerikanischen Secret Service überstürzten sich die Ereignisse. Die Entführung des einzigen Sohnes des amerikanischen Präsidenten hatte um 7.05 Uhr stattgefunden. Der Funkspruch ging um 7.07 Uhr ein. Obwohl er eine Sonderfrequenz benutzte, sprach der Mann unverschlüsselt. Es war ein günstiger Umstand, daß um diese Tageszeit kein Unbefugter den Polizeifunk abhörte. Der Funkspruch wurde an drei verschiedenen Stellen empfangen.
In dem gemieteten freistehenden Haus in der Nähe der Woodstock Road befanden sich die anderen zehn Männer des Secret-Service-Teams, das die Aufgabe hatte, den Präsidentensohn während seines Studienjahrs in Oxford zu bewachen. Acht schliefen noch, aber zwei waren wach, darunter der wachhabende Beamte, der die zugewiesene Frequenz eingeschaltet hatte.
Der Direktor des Secret Service, Creighton Burbank, hatte von Anfang an die Meinung vertreten, der Sohn des Präsidenten sollte während der Amtszeit seines Vaters überhaupt nicht im Ausland studieren. Präsident Cormack hatte sich über seine Bedenken hinweggesetzt, weil er keinen vernünftigen Grund sah, seinem Sohn die langersehnte Chance vorzuenthalten, ein Jahr in Oxford zu verbringen. Burbank hatte sich geschlagen geben müssen, dafür aber verlangt, daß fünfzig seiner Leute nach Oxford abgestellt wurden.
Auch in diesem Punkt hatte John F . Cormack den Bitten seines Sohnes nachgegeben – »Gönn mir doch mal eine Pause, Dad; ich würde mir ja vorkommen wie ein Preisbulle auf dem Viehmarkt, wenn da ständig fünfzig so Typen um mich rum sind« –, und man hatte sich schließlich mit zwölf Mann begnügt. Die Londoner Botschaft hatte eine Villa im Norden von Oxford gemietet, monatelang mit den britischen Behörden zusammengearbeitet und drei auf Herz und Nieren geprüfte britische Hausangestellte engagiert, einen Gärtner, eine Köchin und eine Frau, die das Haus sauberhalten und sich um die Wäsche kümmern sollte. Man hatte alles getan, um Simon Cormack ein möglichst normales Studentenleben zu ermöglichen.
Von den zwölf Mann waren immer mindestens acht im Dienst gewesen. Diese acht hatten sich in vier Zweierteams aufgeteilt; drei davon machten je acht Stunden Schichtdienst im Haus, und die restlichen zwei Mann überwachten Simon, wenn er nicht zu Hause war. Die Amerikaner hatten gedroht, sie würden kündigen, wenn sie ihre Waffen nicht tragen durften, aber in England galt das unumstößliche Gesetz, daß kein Ausländer auf britischem Boden Schußwaffen tragen darf. Ein typischer Kompromiß wurde erarbeitet: Außer Haus würde ein bewaffneter britischer Sergeant der Special Branch (Staatsschutzabteilung) im Auto mitfahren. Strenggenommen unterstanden die Amerikaner seinem Kommando und konnten deshalb Waffen tragen. Das war reine Theorie, aber die Männer von der Special Branch machten sich nützlich, weil sie ortskundig waren. Der britische Sergeant war es gewesen, der auf dem Rücksitz der Limousine gesessen und versucht hatte, seine Smith & Wesson zu benutzen, bevor er auf der Shotover Plain niedergemäht worden war.
Sekunden nach dem Funkspruch des sterbenden Agenten hallte die Villa in der Nähe der Woodstock Road von Rufen und Schreien wider, und dann warfen sich die übrigen Mitglieder des Bewacherteams in zwei Autos und rasten zur Shotover Plain. Die Laufstrecke war festgelegt und allen bekannt. Der wachhabende Beamte blieb mit noch einem Mann zurück und erledigte sofort zwei Telefonanrufe. Der eine galt Creighton Burbank in Washington, der zu dieser frühen Stunde – fünf Stunden Zeitunterschied gegenüber London – tief und fest schlief, der andere dem Rechtsberater an der amerikanischen Botschaft in London, der sich in seinem Haus in St. John’s Wood gerade rasierte.
Der Rechtsberater an einer amerikanischen Botschaft ist immer der FBI -Vertreter, und in London ist das ein wichtiger Posten. Die Polizeibehörden
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