Der Unterhändler
Zusatzinformationen, die Kirpitschenko vom Ersten Hauptdirektorat gesammelt hatte. Das alles war zweifellos so wichtig, daß es dem Generalsekretär persönlich vorgelegt werden mußte. Ach, scheiß drauf, dachte der KGB -Chef erbittert; der soll warten. Und so wurde der Bericht aus Belgrad unterdrückt.
September
Irving Moss hatte sich in London etabliert, aber vor der Abreise aus Houston hatte er mit Cyrus V . Miller einen Geheimcode verabredet. Er wußte, daß die Abhöranlagen der National Security Agency in Fort Meade unablässig den Äther durchforschten und Milliarden von Wörtern aus internationalen Ferngesprächen aufschnappten und daß ganze Batterien von Computern dieses Wortgeröll nach interessanten Nuggets durchsiebten. Ganz zu schweigen von den britischen GCHQ -Leuten (Government Communications Headquarters – Britischer Nachrichtendienst in Chatenham), den Russen und inzwischen auch unzähligen anderen, die sich einen Horchposten leisten konnten. Aber der Umfang der normalen Geschäftsgespräche ist so gewaltig, daß alles, was nicht von vornherein verdächtig klingt, gute Aussichten hat, unbeachtet zu bleiben. Moss’ Code basierte auf einer Liste von Großmarktpreisen für Salat, die vom sonnigen Texas nach dem düsteren London übermittelt wurde. Er schrieb die Preisliste am Telefon mit, schnitt die Wörter heraus, behielt die Zahlen und entzifferte sie entsprechend dem Tagesdatum anhand eines Codebuches, von dem nur er und Cyrus V . Miller ein Exemplar hatten.
In diesem Monat erfuhr er dreierlei: Daß das technische Gerät aus der Sowjetunion, das er brauchte, so gut wie fertig war und ihm innerhalb von vierzehn Tagen geliefert werden würde, daß der Informant im Weißen Haus, den er verlangt hatte, gefunden und gekauft war und bereits arbeitete und daß er jetzt planmäßig an die Verwirklichung des Travis-Plans gehen konnte. Er verbrannte die Blätter und grinste. Sein Honorar wurde in drei Raten, bei Abschluß der Planung, bei Aktivierung und bei Erfolg fällig. Er konnte jetzt die zweite Rate anfordern.
Oktober
Das Herbst-Trimester an der Oxford University hat acht Wochen, und da Gelehrte sich gerne an die Vorschriften der Logik halten, heißen sie Erste Woche, Zweite Woche, Dritte Woche und so weiter. Nach Trimesterende findet in der Neunten Woche eine Reihe von Veranstaltungen statt, vor allem sportliche Wettkämpfe, Theateraufführungen und Debatten. Und nicht wenige Studenten kehren bereits vor Trimesterbeginn zurück, in der sogenannten Nullwoche, um sich auf ihre Studien vorzubereiten, sich einzurichten oder mit ihrem Training zu beginnen.
Am 2. Oktober, dem ersten Tag der Nullwoche, zeigten sich schon vereinzelte frühe Vögel im Vincent’s Club, einem Lokal und Treffpunkt sportbegeisterter Studenten, und unter ihnen war auch der magere Student namens Simon, der sich auf sein drittes und letztes Trimester in Oxford im Rahmen seines Austauschjahres vorbereitete. Jemand, der hinter ihm stand, begrüßte ihn fröhlich.
»Hallo, Jung-Simon. Schon so früh wieder da?«
Es war Brigadegeneral John De’Ath, der Schatzmeister des Jesus College sowie des Athletics Club, zu dem auch die Geländelauf-Mannschaft gehörte. Simon grinste.
»Ja, Sir.«
»Na, wir müssen uns wohl den Speck von den Sommerferien wieder abtrainieren, was?« scherzte der pensionierte Luftwaffenoffizier. Er tippte auf den nicht vorhandenen Wanst des Studenten. »Recht so. Sie sind unsere größte Hoffnung, wenn es im Dezember in London gegen Cambridge geht.«
Jeder wußte, daß die Cambridge University im Sport der große Rivale von Oxford war.
»Ich habe mir vorgenommen, ab sofort jeden Morgen einen Langlauf zu machen, um wieder in Form zu kommen, Sir«, sagte Simon.
Er blieb seinem Vorsatz treu, lief jeden Tag in aller Herrgottsfrühe los und steigerte sich im Laufe der Woche von fünf auf zwölf Meilen. Am Mittwoch, dem 9. Oktober, fuhr er wie gewohnt frühmorgens mit dem Fahrrad von seinem Haus in der Nähe der Woodstock Road im südlichen Teil von Summertown im Norden Oxfords los und radelte ins Stadtzentrum. Er kam am Martyrs’ Memorial und an der Kirche St. Mary Magdalen vorbei, bog nach links in die Broad Street ein, fuhr am Tor seines Colleges, Balliol, vorbei und weiter durch die Holywell und die Longwall Street zur High Street. Dann bog er ein letztes Mal nach links ab und hielt an den Fahrradständern vor dem Magdalen College.
Er stieg ab, schloß sein Fahrrad an und lief los. Er
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