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Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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wurden vom nahegelegenen Stützpunkt Upper Heyford uniformierte Soldaten der amerikanischen Air Force in das Krankenhaus eingeliefert; und wenn ein amerikanischer Tourist in der Leichenhalle lag, kam auch schon mal jemand von der Botschaft, aber warum tat die Polizei in Kidlington dann so geheimnisvoll? Er dachte an Simon Cormack, von dem fast jeder wußte, daß er seit neun Monaten in Oxford studierte, und begab sich ins Balliol College. Dort traf er eine hübsche Studentin aus Wales mit dem Namen Jenny.
    Sie bestätigte, daß Simon Cormack an dem Tag nicht zum Kolloquium erschienen war, fand das aber nicht weiter verwunderlich. Wahrscheinlich sei er völlig fertig von seinen Geländeläufen. Geländeläufe? Ja. Er trainiere jeden Morgen wie ein Wahnsinniger. Meistens auf der Shotover Plain.
    Clive Empson kam sich vor, als hätte er einen Tritt in den Bauch bekommen. Nachdem er sich schon längst damit abgefunden hatte, sein Leben lang Berichte für die Oxford Mail zu schreiben, sah er nun plötzlich die hellen Lichter der Fleet Street leuchten. Er riet gut, aber nicht ganz richtig. Er nahm nämlich an, Simon Cormack sei erschossen worden. Das schrieb er in den Bericht, den er am Spätnachmittag einer großen Londoner Zeitung durchgab. Die Regierung sah sich dadurch gezwungen, eine Erklärung abzugeben.
    Unter vier Augen gestehen Insider in Washington Freunden aus England gelegentlich, daß sie für das britische Regierungssystem sonst-was geben würden.
    Das britische System ist recht einfach. Die Königin ist Staatsoberhaupt und bleibt es. Regierungschef ist der Premierminister, der stets der Vorsitzende der Partei ist, die die Parlamentswahlen gewinnt. Das hat zwei Vorteile. Der Regierungschef braucht sich im Parlament nicht mit einer Mehrheit der Oppositionspartei herumzuschlagen (wodurch es erleichtert wird, notwendige – doch nicht immer populäre – Gesetze durchzubringen), und der nach einem Wahlsieg neu antretende Premierminister ist fast immer ein Politiker mit großer Erfahrung auf nationaler Ebene, wahrscheinlich sogar ehemaliger Minister einer früheren Regierung. Die Erfahrung, das Know-how, das Gespür dafür, wie die Dinge laufen und wie man sie zum Laufen bringt, sind immer gegeben.
    London hat noch einen dritten Vorteil. Hinter den Politikern steht ein Heer erfahrener Beamter, die zum größten Teil auch schon unter der vorherigen Regierung und der davor und der davor gedient haben. Diese »grauen Eminenzen« sind für die neue Regierung eine unschätzbare Hilfe. Sie wissen, was das letzte Mal passierte und warum, sie führen Buch, sie wissen, wo die Tretminen gelegt sind.
    In Washington nimmt der scheidende Präsident fast alles mit – die Erfahrung, die Berater und die Akten, oder zumindest diejenigen, die nicht schon irgendein wohlmeinender Oberstleutnant dem Reißwolf überantwortet hat. Der Neuling fängt von vorne an, hat oft nur politische Erfahrung auf Bundesstaatsebene und bringt seine eigenen Berater mit, die oft genauso unbeleckt sind wie er selbst und nicht so genau wissen, welches die Fußbälle und welches die Tretminen sind. Das ist der Grund, warum in Washington so mancher hoffnungsvolle Neuanfang schon bald ins Stolpern kommt.
    Als deshalb Vizepräsident Odell an jenem Oktobermorgen um 5.05 Uhr völlig benommen das Weiße Haus verließ und zum Westflügel hinüberging, wußte er nicht so recht, was er tun oder wen er um Rat fragen sollte.
    »Ich werde damit nicht alleine fertig, Michael«, hatte der Präsident gesagt. »Ich will versuchen, meinen Pflichten als Präsident nachzukommen. Ich bleibe im Oval Office. Aber ich kann den Krisenausschuß nicht leiten. Das geht schon deshalb nicht, weil ich persönlich betroffen bin … Bringen Sie ihn mir zurück, Michael, bringen Sie mir meinen Sohn zurück.«
    Odell ließ sich viel stärker von Gefühlen leiten als John F . Cormack. Noch nie hatte er seinen Freund, den gefaßten, nüchternen Akademiker, so verzweifelt gesehen, nie hätte er so etwas für möglich gehalten. Er hatte den Präsidenten umarmt und ihm geschworen, daß es geschehen werde. Cormack war wieder ins Schlafzimmer gegangen, in dem gerade ein Arzt des Weißen Hauses der weinenden First Lady ein Beruhigungsmittel verabreichte.
    Odell saß jetzt auf dem mittleren Stuhl am Tisch des Cabinet Room, bestellte sich Kaffee und erledigte die ersten Telefongespräche. Die Entführung hatte sich in England ereignet; das war Ausland; er würde den Außenminister brauchen. Er

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