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Der Unterhändler

Der Unterhändler

Titel: Der Unterhändler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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spürte die Messerspitze dicht unterhalb seines rechten Ohrläppchens und erstarrte. Der Mann war absolut lautlos die gekachelte Treppe vom Schlafzimmer heruntergekommen.
    »Viel Zeit vergangen seit Son Tay, Quinn«, sagte Weintraub leise. Das Messer entfernte sich von seiner Halsschlagader.
    »Was sagten Sie, Sir?« fragte Sneed unbekümmert vom anderen Ende des Raumes. Ein Schatten glitt über die Fliesen, ein Zündholz flammte auf, und die Öllampe auf dem Tisch tauchte den Raum in warmes Licht. Sneed fuhr zusammen. Major Kerkorjan in Belgrad hätte seine helle Freude an ihm gehabt.
    »Die Reise war anstrengend«, sagte Weintraub. »Darf ich mich setzen?«
    Quinn hatte sich ein Tuch um die Hüften geschlungen wie einen Sarong. Nackter Oberkörper, schlank, muskulös. Sneed starrte entsetzt auf die Narben.
    »Ich bin da raus, David«, sagte Quinn. Er setzte sich an den Refektoriumstisch, dem DDO gegenüber. »Ich bin im Ruhestand.«
    Er schob Weintraub ein Glas und den irdenen Krug mit Rotwein hin. Der Gast goß sich ein Glas ein, trank und nickte anerkennend. Ein herber Rotwein. Er würde nie die Tische der Reichen sehen. Bauernwein, Soldatenwein.
    »Bitte, Quinn.«
    Sneed war sprachlos. Ein DDO sagte nicht »bitte«. Er gab Befehle.
    »Ich komme nicht mit«, sagte Quinn. Sneed kam näher ans Licht. Seine Jacke war aufgeknöpft, und er drehte sich so, daß der Griff der Waffe zu sehen war, die er in einem Hüftholster trug. Quinn sah nicht einmal zu ihm hin; er starrte Weintraub an.
    »Wer ist denn dieses Arschloch?« fragte er gelassen.
    »Sneed«, sagte Weintraub, »sehen Sie nach, ob die Reifen in Ordnung sind.«
    Sneed ging hinaus. Weintraub seufzte.
    »Quinn, die Sache in Taormina. Das kleine Mädchen. Wir wissen, daß es nicht Ihre Schuld war.«
    »Verstehen Sie denn nicht? Ich bin raus. Aus und vorbei. Nie wieder. Sie sind umsonst gekommen. Suchen Sie sich einen anderen.«
    »Es gibt keinen anderen. Die Briten haben Leute, gute Leute. Washington sagt, wir brauchen einen Amerikaner. Aber wir haben drüben keinen, der Ihnen das Wasser reichen könnte, wenn es um Europa geht.«
    »Washington will bloß seinen eigenen Arsch retten«, sagte Quinn verächtlich. »Wie immer. Die brauchen doch bloß einen Sündenbock, für den Fall, daß es schiefgeht.«
    »Ja, schon möglich«, gab Weintraub zu. »Einmal noch, Quinn, das letzte Mal. Nicht für Washington, nicht für das Establishment, noch nicht einmal für den Jungen. Für die Eltern. Sie brauchen den Besten. Ich habe dem Ausschuß gesagt, das sind Sie.«
    Quinn sah sich in dem Raum um, betrachtete die wenigen Sachen, die er besaß und an denen er doch hing, als würde er sie womöglich nie wiedersehen.
    »Ich habe meinen Preis«, sagte er schließlich.
    »Nennen Sie ihn«, sagte der DDO schlicht.
    »Sie müssen meine Traubenernte einbringen.«
    Zehn Minuten später gingen sie hinaus, Quinn mit einem Jutesack über der Schulter, dunkler Hose, Turnschuhen an den bloßen Füßen, einem Hemd. Sneed hielt die Autotür auf. Quinn setzte sich auf den Beifahrersitz, Weintraub ans Steuer.
    »Sie bleiben hier«, sagte er zu Sneed. »Sie kümmern sich um die Weinlese.«
    »Was?«
    »Sie hören doch. Gehen Sie morgen früh ins Dorf, heuern Sie ein paar Arbeiter an und bringen Sie Quinns Traubenernte ein. Ich sage dem Stationschef in Madrid Bescheid.«
    Über Funk rief er den Hubschrauber, der schon über dem Strand von Casares schwebte, als sie ankamen. Sie kletterten an Bord und entschwanden Richtung Rota und Washington.

5. Kapitel
    David Weintraub war nur zwanzig Stunden aus Washington abwesend. Auf dem achtstündigen Flug von Rota nach Andrews gewann er sechs wegen der verschiedenen Zeitzonen, und um 4   Uhr morgens landete er auf der Basis des 89th Military Airlift Wing. In der Zwischenzeit hatten sich zwei Regierungen, die in Washington und die in London, praktisch einer Belagerung ausgesetzt gesehen.
    Es gibt nur wenige furchterregendere Anblicke als die vereinigte Macht der Medien der Welt, wenn sie den letzten Rest von Zurückhaltung verloren haben. Ihr Appetit ist unersättlich, ihr Vorgehen brutal.
    Die Flugzeuge, die aus den USA nach London oder jedem beliebigen anderen englischen Flughafen unterwegs waren, waren von der Cockpittür bis zu den Toiletten gerammelt voll, da jeder amerikanische Nachrichtenverhökerer, der diesen Namen verdiente, ein Team in die britische Hauptstadt entsandte. Dort angekommen, gerieten sie vollends außer sich; minutengenaue

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