Der Unterhändler
verließ. »Zack ist noch nicht reif. Er würde die Forderung wieder hinaufschrauben, weil er argwöhnt, daß er hereingelegt wird. Ich möchte ihn nervlich noch ein bißchen mehr unterminieren, ihn stärker unter Druck gesetzt sehen.«
»Und der Druck, unter dem Simon Cormack steht?« rief ihm Sam durch den Korridor nach. Quinn blieb stehen und kam an die Tür zurück.
»Yeah«, sagte er in sachlichem Ton, »und seine Eltern. Ich habe es nicht vergessen. Aber in solchen Fällen müssen die Verbrecher glauben, felsenfest glauben, daß nichts mehr rauszuholen ist. Sonst werden sie wütend und tun der Geisel etwas an. Ich hab’ es schon erlebt. Langsam und behutsam vorgehen ist wirklich besser als eine Kavallerieattacke. Wenn man den Fall nicht innerhalb von achtundvierzig Stunden mit einer raschen Verhaftung lösen kann, kommt es zu einem Zermürbungskrieg – die Nerven des Kidnappers gegen die des Unterhändlers. Wenn er nichts bekommt, dreht er durch; wenn er zuviel zu schnell kriegt, denkt er, er hat die Sache vermasselt, und seine Komplizen werden ihm das gleiche sagen. Und das ist schlecht für die Geisel.«
Als Nigel Cramer ein paar Minuten später diese Worte vom Band hörte, nickte er zustimmend. In zwei Fällen, an denen er beteiligt gewesen war, hatte er die gleiche Erfahrung machen müssen. Im einen war die Geisel unversehrt befreit worden, im anderen hatte der Kidnapper, ein wütender Psychopath, sein Opfer liquidiert.
Im Keller unter der amerikanischen Botschaft waren Quinns Worte »live« zu hören.
»Dieser Idiot«, sagte Brown, »er hat doch den Deal in der Hand, um Himmels willen. Er soll den Jungen jetzt rausholen. Dann möchte ich mir selber diese Schweine vorknöpfen.«
»Wenn sie entkommen, überlassen Sie die Sache der ›Met‹«, riet Seymour. »Die findet sie schon.«
»Yeah, und ein englisches Gericht gibt ihnen lebenslang in einem gemütlichen Kittchen. Wissen Sie, was lebenslang hier in diesem Land bedeutet? Vierzehn Jahre und noch weniger bei guter Führung. Scheiße! Lassen Sie sich gesagt sein, Mister, niemand, aber wirklich niemand macht so was mit dem Sohn meines Präsidenten und kommt ungestraft davon. Diese Geschichte wird eines Tages eine Sache fürs Bureau werden, wie sie es von Anfang an hätte sein sollen. Und ich werd’ sie erledigen – nach Bostoner Regeln.«
Nigel Cramer erschien persönlich am Abend dieses Tages in der Wohnung in Kensington. Er kam mit leeren Händen. 400 Personen waren unauffällig befragt, beinahe 500 »Sichtmeldungen« überprüft, 160 weitere Häuser und Wohnungen diskret kontrolliert worden. Ohne Erfolg.
In Birmingham hatte die Kriminalpolizei ihre Dossiers aus den vergangenen fünfzig Jahren nach Kriminellen gefilzt, die als Gewalttäter aktenkundig geworden waren und vielleicht vor langer Zeit die Stadt verlassen hatten. Acht in Frage kommende Fälle waren untersucht und alle geklärt worden – die Leute waren entweder tot oder im Gefängnis oder an einem anderen, feststellbaren Aufenthaltsort.
Zu Scotland Yards Quellen gehört – wovon in der Öffentlichkeit nicht viel bekannt ist – auch die »Stimmenbank«. Mit Hilfe moderner Technik lassen sich menschliche Stimmen in eine Abfolge von Hoch-und Tiefpunkten auflösen, die genau wiedergeben, wie der Betreffende ein- und ausatmet, mit welcher Tonstärke und -höhe er spricht, wie er seine Worte formt und herausbringt. Das Spurenmuster auf dem Oszillografen ist einem Fingerabdruck vergleichbar; es kann verglichen und, falls die Stimme des Betreffenden schon »auf Lager« ist, identifiziert werden.
Von zahlreichen Kriminellen, nach denen gefahndet wird, sind wovon sie vielfach keine Ahnung haben – Tonbandaufnahmen in der Stimmenbank gespeichert. Stimmen von Leuten, die andere mit obszönen Anrufen behelligen, von anonymen Denunzianten und von solchen, die verhaftet und im Vernehmungsraum »auf Band genommen« wurden. Von Zack keine Spur.
Auch die Untersuchungen der Experten waren im Sande verlaufen – die Patronenhülsen, Bleikugeln, Fußabdrücke und Reifenspuren schlummerten in den Polizeilabors und wollten keine weiteren Geheimnisse preisgeben.
»In einem Radius von fünfzig Meilen um London einschließlich der Hauptstadt gibt es acht Millionen Wohnstätten«, sagte Cramer. »Dazu kommen noch ausgetrocknete Entwässerungskanäle, Lagerhäuser, Gewölbe, Krypten, Tunnel, unterirdische Gänge und verlassene Gebäude. Einmal hatten wir einen Mörder und Frauenschänder, der
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