Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
reinstecken und sie zumachen. Der Gürtel. Wo ist der wieder? Er hat ihn gefunden. Schnallt ihn um. Die Krawatte. Auch das ist geschafft. Jetzt braucht er bloß noch den Mantel. Der Tag fängt nicht besonders gut an. So was ist immer traurig und unangenehm. Frank ist sich schmerzlich bewusst, dass es genauso gut ihn hätte treffen können. Doch in diesem Augenblick fühlt er sich ziemlich gut. Er hat die Autoschlüssel in der Hand. Das erste Mal seit der Hüftoperation, dass er wieder fährt. Ein bisschen früher, als man ihm geraten hat, aber was soll’s – er fühlt sich gut. Je mehr er drüber nachdenkt, umso besser geht es ihm. Als er das Haus verlässt und den Weg langgeht, lächelt er sogar. In den Wagen steigen. Ein bisschen mühselig, das Bein richtig anzuwinkeln. Es ist steif, tut aber nicht weh. Das ist ein Fortschritt. Die Schmerzen sind weg, jetzt muss er nur noch Krafttraining machen.
Frank fährt wie ein alter Mann. Schon immer. Wie jemand, der es versteht, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die Erfahrung von vierzig Jahren verwandelt früh Erlerntes in langjährige Gewohnheit. Er könnte gar nicht mehr anders fahren. Stets vorsichtig. Er kennt die Straßen, kennt die Stadt. Sie verändert sich ständig, doch er lernt auch ständig dazu. Ist schon fast da, weiß nicht genau, was ihn erwartet. Als er am Straßenrand hält, flucht er vor sich hin. Er hat die richtige Adresse. Er hätte sich denken können, dass es beklemmend sein würde. So ein Besuch musste einfach unangenehm sein. Die Wohnung ist im zweiten Stock, und er könnte wetten, dass es keinen Aufzug gibt. Nicht ganz einfach, in einer einzigen Bewegung hoch und aus dem Wagen zu kommen. Aber keine Schmerzen, das macht ihm Mut. Mit so einem Störfaktor kommt er klar.
An der Haustür kein Klingelschild. Keinerlei Sicherheitsvorkehrungen. Frank betritt das Haus und starrt wütend die Treppe an. Natürlich kein Aufzug. Seufzend macht er sich auf den Weg nach oben. In den ersten Stock. Er keucht kurz, aber nicht vor Schmerz. In den zweiten Stock. Seine Hüfte ist steif und ungelenk, aber das hier ist vielleicht gar nicht schlecht. Wegen der Reise, die ihm bevorsteht. Da muss er im Flugzeug sitzen, Flughäfen durchqueren. Gut, sich schon mal zu bewegen, die Hüfte ein bisschen zu belasten. Die Wohnung, die er sucht, ist nicht schwer zu finden. Ein schmaler, düsterer Flur mit drei Türen. Er entdeckt Nummer acht. Klopft. In die Tür ist ein Spion eingelassen, und er stellt sich gut sichtbar direkt davor. Wartet zwanzig Sekunden, dann wird geöffnet.
Calum sieht mitgenommen aus. Hat die linke Hand dick verbunden, wirkt blass und schmaler als vorher. Nickt Frank misstrauisch zu.
»Schön, dich zu sehen, Calum«, sagt Frank. Freundlich. Aufrichtig. »Kann ich reinkommen?«
Calum führt ihn durch einen kurzen Flur ins Wohnzimmer und bittet ihn, Platz zu nehmen. »Willst du einen höheren Stuhl aus der Küche haben?«, fragt er. Er betrachtet Franks Hüfte, sagt aber nichts dazu. Mustert die falsche Seite, aber Frank hat nicht vor, ihn drauf hinzuweisen.
»Wäre nicht schlecht.« Der alte Mann lächelt.
Calum ist in der Küche verschwunden und kehrt mit einem Stuhl zurück. Spielt den guten Gastgeber, das ist aber nur Fassade. Beide wissen, dass er versucht, Zeit zu gewinnen. Dass er über diesen unerwarteten Besuch nachdenkt. Calum denkt an ihre letzte Begegnung. Da war Calum der Besucher. Ein Geschäftsgespräch als Besuch getarnt. Das hier läuft aufs Gleiche hinaus.
Es herrscht bereits eine unangenehme Stimmung. Nicht bedrohlich, aber angespannt. Als Jamieson dieses Treffen vorschlug, wusste Frank sofort, dass es schrecklich sein würde. Calum ist für so was zu intelligent. Es gibt jede Menge Schwachköpfe, die es nicht kapieren würden. Sie würden nicht begreifen, dass der Boss ihn geschickt hat, um sie zu bearbeiten. Aber Calum ist nicht so dumm. Sobald er Frank durch den Spion sah, dürfte er Bescheid gewusst haben. Jetzt ist er in höchster Alarmbereitschaft. Horcht in Franks Worten auf Jamiesons Stimme. Er setzt sich Frank gegenüber. Sieht ihn an. Bemüht sich vergeblich, freundlich zu wirken. Sein Blick ist herausfordernd. Als wollte er Frank zum Sprechen auffordern. Ihn auffordern, was anderes als eine Marionette des Bosses zu sein. Frank räuspert sich.
»Jetzt schau uns an, hm? Zwei menschliche Wracks. Die Hand. Ich hab gehört, es war ziemlich schlimm.«
Calum nickt und hebt die linke Hand an. »Bei der hier. Bei der anderen
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