Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
Schwierigkeiten steckt. Das ist angeboren. Es beruht nicht auf seiner Arbeit. Jeder hat dieses Gespür, bei der Arbeit in seinem Geschäft kommt es nur öfter zum Einsatz. Calum hat es schon oft genutzt. Er kennt sich aus. Er begreift, dass er schon bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt und dass es höchstwahrscheinlich zu spät ist, um was dagegen zu unternehmen. Man erkennt diese Realität an. Doch man kämpft trotzdem. Auch das ist angeboren. Der Wille zu überleben. Sich zu wehren.
Eine große Gestalt kommt auf ihn zu. Sein erster Gedanke ist: Davidson. Der ist ein Hüne. Also haben Young und Jamieson nichts unternommen. Na toll! Ist jetzt wirklich egal. Er hat nur einen Vorteil. Einen einzigen kleinen Vorteil. Calums Augen sind schon viel besser an die Dunkelheit gewöhnt als die von Davidson. Der größere Mann kommt mit erhobener Hand auf ihn zu. Streckt sie höher als erwartet aus. Also keine Schusswaffe. Ein Messer. Um keinen Lärm zu machen. Ins Haus einbrechen, ihn im Bett umbringen. Damit die Leiche erst am nächsten Tag gefunden wird. Dann ist Davidson längst weg. Netter Versuch. Eine dieser kleinen Launen des Schicksals, dass Calum zufällig jetzt wach geworden ist. Oder ist er aufgewacht, weil Davidson das Schloss geknackt hat? Wir werden es nie erfahren.
Calum hebt die Hand. Er muss sich richtig hinstellen, um sich wehren zu können. Sein Gespür sagt ihm, dass er Davidson den ersten Schritt überlassen soll. Er ist größer. Er hat das Messer. Calum hat gar nichts. Er muss auf diesen ersten Schritt reagieren. Dann versuchen, an das Messer zu kommen. Die dunkle Gestalt schwingt das Messer in weitem Bogen. Das soll noch nicht tödlich sein. Es soll ihm lediglich einen Schnitt zufügen, um ihn in eine stärkere Verteidigungshaltung zu drängen. Eine Haltung, die keinen Gegenangriff zulässt. Jetzt ist es eine Frage des Mutes. Wie viel kann er einstecken? Er darf nicht von der Stelle weichen. Soll Davidson ihm doch die Arme aufschlitzen. Ihn verwunden. Das Entscheidende ist, am Leben zu bleiben. Er kann nicht ungeschoren davonkommen – den Traum muss er fahrenlassen. Das ist ein Kampf ums Überleben. Calum weicht nicht zurück. Ein Arm erhoben. Auf Zehenspitzen, bereit zurückzuschlagen. Die große Gestalt schwingt das Messer zum zweiten Mal. Es schlitzt Calums Unterarm auf. Bleibt stecken. Scheint bis auf den Knochen vorgedrungen zu sein. Er spürt einen stechenden Schmerz. Er darf sich nicht davon aufhalten lassen. Muss jetzt reagieren.
Ein kurzes Zögern. Das ist seine Chance. Ein Satz nach vorn. Mit dem Kopf voran. Sein Schädel kracht gegen den Unterkiefer der großen Gestalt. Ein unterdrückter Schmerzensschrei. Ein Schritt nach hinten. Die Chance. Er muss nach dem Messer grapschen. Egal, ob er sich die Hand an der Klinge aufschneidet, vorrangig ist, am Leben zu bleiben. Er hat irgendwas umklammert. Zieht und ruckelt. Ein paar Sekunden, in denen alles in Dunkelheit gehüllt zu sein scheint. Gewinnt er den Kampf oder nicht? Was macht der andere? Rätselhafte Momente. Augenblicke des Nichts. Die große Gestalt windet sich, um freizukommen. Irgendwas löst sich. Calum ist benommen. Blut rinnt auf seine Hände. Am liebsten würde er auf die Knie sinken. Aber er verlangt sich alles ab, um die Situation zu nutzen. Ein Messer, das ins Fleisch dringt. Völlig mühelos reingleitet. Keinerlei Widerstand. Eine schnelle Drehung. Der Kampf ist vorbei.
Epilog
Es fällt ihm schon schwer, sich die Hose anzuziehen. Seine Hüfte ist noch steif, erholt sich aber langsam. Den Ärzten zufolge noch nicht fit für große Unternehmungen, aber das wird schon. Einen kleinen Ausflug wird sie wohl oder übel mitmachen. Frank bleibt nichts anderes übrig. Er hat die Hose über beide Beine gestreift und steht auf. Junge, Junge, ist er außer Form. Er weiß nicht, ob es ihm helfen wird, sich in Spanien den Arsch plattzusitzen, aber genau dorthin geht’s nächste Woche. Die Reise wird eine Bewährungsprobe. Seit der Operation ist schon über ein Monat verstrichen. In den ersten Wochen musste er das Bein auf einen Hocker legen. Langweilig und peinlich. Ein tatkräftiger Mann, der sich noch jung fühlt, sollte seine Tage nicht in so einer Haltung verbringen. Zum Glück waren Peter Jamieson und Calum MacLean die einzigen wichtigen Leute, die ihn so gesehen haben. Peter wusste, was ihn erwartet, und hat nicht drauf geachtet. Und Calum. Tja, der arme Calum.
Gott sei Dank, die Hose ist endlich oben. Jetzt noch das Hemd
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