Der unvermeidliche Tod des Lewis Winter
die Treppe rauflief. Sein Herz pocht immer noch so heftig, dass er es hören kann. Oben liegt eine Leiche. Jeden Moment kann die Polizei kommen. Er muss jetzt wirklich verschwinden, wenn er noch wegkommen will. Vielleicht sollte er einfach gehen. Nein. Er muss ihr doch helfen. Es ist richtig zu helfen. Diese hinreißende Frau. Die ein Leben mit einem Säufer aushalten musste. Die gerade ein traumatisches Erlebnis durchstehen musste. Da ist es das Mindeste, ihr wenigstens irgendwie zu helfen.
Zara ist oben. Sie öffnet die Schlafzimmertür und streckt die Hand nach dem Lichtschalter aus. Sie weiß, das sie was Schreckliches zu sehen bekommen wird. Dass sie sich wappnen muss. Sie hat schon schreckliche Dinge gesehen. Man verbringt nicht so viel Zeit in diesem Geschäft, ohne das eine oder andere erlebt zu haben. Einmal hat sie gesehen, wie Nate einen Mann halbtot geschlagen hat. In einer Seitengasse. Als Nate fertig war, sah das Gesicht des Mannes kaum noch nach einem Menschen aus. Sein Kopf schien nicht mal mehr die richtige Form zu haben. Trotzdem hat er überlebt. Irgendwie. Sie weiß, dass Lewis’ Leiche sie erwartet. Weiß, dass es entsetzlich sein könnte. Er bedeutet ihr was. Deshalb ist es diesmal was anderes. Es ist ihr nicht gleichgültig. Es ist weniger schlimm, als sie befürchtet hat. Statt nach Blut, riecht es nach Urin. Kein blutiger Anblick. Ein dünner Blutfaden rinnt aus dem Kinn den Hals hinab und versickert in Kleidung und Bettzeug. Das Ganze sieht geradezu harmlos aus. Hätte sie nicht gewusst, dass es eine Schusswunde war, dass der Killer ein Profi war, hätte sie vielleicht gedacht, dass er noch lebt. Es sieht bloß wie eine Schnittwunde aus. Doch da regt sich nichts mehr. Sie müsste seinen Atem hören. Irgendwas. Von der Stille kriegt sie eine Gänsehaut. In Gesellschaft eines anderen Menschen sein, der nicht das geringste Geräusch macht. Totenstille.
Sie schüttelt sich. Nicht rumstehen. Keine Zeit verschwenden. Wenn jetzt die Polizei kommt, steckt Zara in echten Schwierigkeiten. Nackt in dem Zimmer mit der Leiche. Unten ein Liebhaber. Drogen im Schrank. Sie durchquert zügig das Zimmer und öffnet die Schranktür. Zieht den Schrankboden weg. Darunter liegen zwei Bündel Geldscheine, eine Tüte Koks und eine mit Pillen, die sie nicht sofort identifizieren kann. Lewis wusste, was das ist. Er bewahrte davon kaum was im Haus auf, oft sogar gar nichts, hatte aber Probleme mit einem seiner Dealer, deshalb war noch was übrig. Sie weiß nicht, wie viel das Ganze wert ist, aber das Geld und die Drogen, das sind bestimmt ein paar tausend. Zara hat sonst kaum was. Sie braucht das Geld.
Sie legt alles auf den Fußboden und schiebt die Platte wieder in den Schrank. Dann nimmt sie das Geld und den Stoff und hastet aus dem Zimmer. Stewart steht noch am Fuß der Treppe, er wirkt nervös. Er sieht, dass sie was dabeihat, und macht große Augen.
»Bitte, Stewart, du musst mir helfen«, fleht sie ihn an. Mitleiderregend. »Wenn das im Haus gefunden wird, muss ich auch ins Gefängnis. Du musst das für mich nehmen. Gib mir deine Adresse. Ich komm dann vorbei und hol’s wieder ab. Du musst es bloß eine Weile aufbewahren.« Sie merkt, dass sie zu lange palavert. Zu viel redet. Doch sie kann ihn überzeugen. Küsst ihn wieder. »Gib mir deine Adresse. Ich komm vorbei. Ich will dich nicht auch noch verlieren.«
Sie ist wunderschön. Und schutzlos. Sie braucht ihn. Es ist auf eine seltsame Art angenehm, so gebraucht zu werden. Besonders von jemandem, den man begehrt. Sie hat viel unter ihrem Mann gelitten. Ist keine große Überraschung, dass der Säufer da oben auch noch Drogendealer ist. Er muss ein Dealer sein. So viel Stoff kann er nicht für den Eigengebrauch dahaben. Stewart nimmt nur selten Drogen, aber er kennt den Unterschied zwischen Freizeitbedarf und dem Bedarf eines Drogenhändlers. Bargeld ist auch da. Eine Menge Bargeld. Sieht nach Zwanzig- und Fünfzig-Pfund-Scheinen aus. Das könnten ein paar tausend sein. Soll er ihr helfen? Sie könnte ihn verpfeifen, wenn er ihr nicht hilft. Würde sie bestimmt nicht tun. Dafür hat sie zu viel Klasse. Aber sie könnte.
»Klar helf ich dir«, sagt er, beugt sich vor und küsst sie noch mal. Sie gibt ihm die Tüten und das Geld, und er stopft sich alles tief in die Taschen, so dass niemand es sieht. Sie hat sich ein Stück Papier und einen Stift geschnappt. Er schreibt ihr seine Adresse auf. Ist das klug? Er kann ihr vertrauen. Diese Augen. Er kann ihnen
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