Der Ursprung des Bösen
Menschenmenge verschmelzen. Er würde sich so in ihr auflösen, dass er unsichtbar wurde. Im Laufen ließ es sich gut nachdenken. Allerdings fehlte ihm noch der Zusammenhang. Was hatte Fer-Blancs Enthüllung zu bedeuten, dass er ihn bei der Leiche des Ikarus gesehen habe? Und dann das Gebet, das immer wiederholte Wort »Matrjoschka«? Viele Fragen, auf die es keine Antworten gab. Unwillkürlich murmelte er im Rhythmus seines Laufschritts vor sich hin:
»Matrjoschka, Matrjoschka, Matrjoschka.«
Was hatte es damit auf sich ?
Janusz rannte immer noch. Inzwischen wurden die ersten Spaziergänger aufmerksam. Möglicherweise erkannten sie unbewusst die Verbindung zwischen diesem hastig vorwärtsstrebenden Mann und den Sirenen, die im ganzen Stadtzentrum zu hören waren. Plötzlich entdeckte Janusz zu seiner Linken ein winziges Sträßchen, das parallel zur breiten Verkehrsader verlief. In fast jedem Haus befand sich ein Geschäft, und dementsprechend war es voll.
Janusz bog ab, ließ seine Ellbogen spielen und tauchte zwischen den Schaufensterbummlern ab. Mit einem Mal fühlte er sich wieder wie in Marseille. Alles erinnerte ihn an das alte Viertel Panier.
Doch er hatte keine Zeit, sich umzusehen und zu orientieren. Wichtiger war es jetzt, der hämmernden Musik entgegenzueilen, die wie ein riesiges Herz pochte.
Die Geschäfte hatten ihre Auslagen auf den Bürgersteig ausgedehnt. Vorbei ging es an Schirmen, Handtaschen und Hemden. Janusz erreichte einen weiteren Platz, auf dem ein Fischmarkt stattfand. Die nächste Gasse war noch schmaler als die vorige und noch dunkler. Es roch stark nach Früchten.
Die Musik, die ihn retten würde, kam immer näher.
Er hatte sich noch immer nicht umgeschaut und wusste nicht, ob die Polizisten ihm auf den Fersen waren oder ob er sie abgehängt hatte. Janusz entdeckte eine Treppe, die rechts nach unten führte. Die Mauern rechts und links bestanden aus falschem Marmor. Er stürmte hinunter und fand sich im hellen Sonnenlicht auf der breiten Straße wieder. Die Sirenen schienen jetzt weiter entfernt zu sein, und weit und breit war kein Polizeiauto zu sehen. Nur Straßenbahnen rumpelten über den begrünten Mittelstreifen, auf dem die Schienen verlegt waren.
Die Musik lockte von der anderen Straßenseite. Janusz wurde langsamer und überquerte die breite Straße. Er gab sich wie ein ganz normaler Spaziergänger, der unter all den anderen auf den Umzug zuschlenderte. Auf der anderen Straßenseite war ein Park mit Palmen, Statuen und Rasenflächen. Die Musik wurde lauter. Janusz erkannte den Titel und summte mit. I gotta feeling von den Black Eyed Peas. Mit den Händen in den Hosentaschen und gesenktem Kopf durchquerte er den Park. Kieswege, Baumgruppen, Familien, die es sich auf Bänken bequem gemacht hatten. Der Karnevalszug war nur noch wenige Schritte entfernt. Was genau erwartete er? Würde er teilnehmen? Oder sich unter der Tribüne verstecken?
Als er den Park verließ, schmolzen seine Hoffnungen dahin. Der Umzug war mit Schutzgittern von den Zuschauern getrennt, die rechts und links auf Tribünen saßen. Polizisten und Wachleute versahen Ordnerdienste. Janusz mischte sich unter die Zuschauer, die auf die nummerierten Eingangstore zudrängten. Er hatte nur eine Chance, nämlich der Massenbewegung zu folgen, eine Eintrittskarte zu kaufen und die Sicherheitsschleuse zu passieren.
Vor der Kasse verkündete ein großes Schild das Motto des Karnevals: KARNEVAL IN NIZZA. DER KÖNIG DES BLAUEN PLANETEN. Vor dem Schalter standen nur wenige Leute. Die Sirenen waren nicht mehr zu hören.
»Eine Eintrittskarte bitte.«
»Stehplatz oder Tribüne?«
»Stehplatz.«
»Macht zwanzig Euro.«
Janusz mischte sich unter die Menge, die sich zwischen den Tribünengerüsten drängte. Er sah, wie Polizisten mit Funkgeräten am Ohr und der Hand an der Waffe ihre Posten im Laufschritt verließen. Man hatte Alarm ausgelöst.
Als er den Eingang mit der Nummer erreichte, die auf seinem Ticket stand, wurde der Lärm geradezu ohrenbetäubend. Ein Sicherheitsmann nahm sein Ticket und ließ ihn durch, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Stattdessen beobachtete er die Unruhe der Polizisten.
Er hatte es geschafft, er war drin.
Bis er sich einigermaßen zurechtfand, verging eine Weile. Auf zwei Tribünen, die einander gegenüberstanden, tobte ein fröhliches Publikum. Dazwischen wurde eine breite Gasse für die Motivwagen freigehalten. Die meisten Zuschauer standen und klatschten. Kinder besprühten ihre
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