Der Ursprung des Bösen
Fenster über dem Schreibtisch war zertrümmert, die Reste der Verdunkelung flatterten im Wind. Aber das Schwein lebte noch; der Kerl hatte sich beim ersten Schuss gleich wieder in den Treppenabgang geflüchtet.
Ohne zu überlegen warf Chaplain seine Waffe fort und stürmte ins Bad. Während er zum Dachfenster emporblickte, rannte der Mörder schon wieder die Treppe hinauf und ballerte dabei ununterbrochen.
Plötzlich wurde es still. Im ganzen Loft war die Luft schwer von Pulver und Rauch. Chaplain sah den Lichtstrahl, der im Zimmer umherirrte. Sein Widersacher hatte ihn noch nicht entdeckt. Und dafür gab es einen triftigen Grund: Er lag in der Badewanne. In der Hand hielt er einen Glassplitter als letzte Waffe. Knirschende Schritte näherten sich. Er durfte sich keinesfalls bewegen. Die Wanne war voller Glasbrösel, die bei der geringsten Bewegung knisterten.
Wie weit war der Mörder noch entfernt?
Fünf Meter?
Drei Meter?
Ein Meter?
Das nächste Geräusch war ganz nah. Chaplain umklammerte den Rand der Badewanne, zog sich auf die Beine und fuchtelte mit seiner Klinge blindlings in der Luft herum, traf jedoch auf nichts. Dann glitt er aus, stürzte und krachte mit dem Hinterkopf gegen die Mischbatterie.
Als er die Augen wieder öffnete, hielt ihm der Mörder die Waffe an die Stirn und drückte wütend auf den Abzug. Intuitiv hielt sich Chaplain die Hände vors Gesicht, hörte jedoch nur ein Klicken. Die Pistole hatte eine Ladehemmung. Vom Taclight geblendet ließ er den Arm vorschnellen und traf den Mörder irgendwo im Gesicht. Der Kerl bemühte sich noch immer, die verkeilte Kugel zu lösen. Chaplain gelang es, sich auf ein Knie hochzurappeln, er packte seinen Gegner im Nacken und rammte die Scherbe tief in sein Gesicht. Im Licht des Taclights erkannte er, dass die scharfe Spitze in seine rechte Wange eingedrungen war und aus der linken Augenhöhle wieder austrat. Der Mann in Schwarz hatte seine Waffe nicht losgelassen. Er schwankte und wurde von Krämpfen geschüttelt. Der Strahl seiner Waffe zuckte und tanzte auf dem Grund der Badewanne, die ihrerseits das Leuchten reflektierte und die ganze Szene in ein diffuses Licht tauchte.
Im Spiegel erkannte Chaplain das bleiche Gesicht des Mannes und sein eigenes, verzerrtes Abbild. Zwei Gegner, deren Augen stumm schrien. Noch im Hinuntersinken versuchte der Mörder seine Waffe auf Chaplain zu richten. Doch seine Finger verloren schnell an Kraft. Schließlich sackte er zusammen. Chaplain stieg aus der Wanne. Der Sterbende bäumte sich noch einmal auf und klammerte sich an sein Bein. Arnaud trat ihm auf den Kopf und drückte die Glasscherbe noch tiefer in sein Gehirn, bis sie zerbrach. Blut spritzte empor.
»Was ist denn hier los? Alles okay da drinnen?«
Chaplain warf einen Blick nach unten. Nachbarn standen im Hof und bemühten sich, durch die zerrissenen Vorhänge zu spähen. Er hob seine Waffe und vorsichtshalber auch die des Mörders auf. Das Taclight leuchtete in seiner Hosentasche weiter. Hastig öffnete er einen Schrank, riss sich den blutbefleckten Mantel vom Leib und zog einen anderen an.
»Jemand da?«
Er drehte das Modell der Pen Duick I um und zertrat den Schiffsrumpf mit dem Absatz. Fünfhundert-Euro-Scheine wirbelten durch die Luft. Er steckte so viele davon ein, wie in seine Taschen passten, und nahm auch die Ausweispapiere und die Krankenkassenkarte an sich. Anschließend stieg er auf den Schreibtisch, steckte den Kopf durch die zerbrochene Scheibe und blickte auf Zinkdächer, Regenrinnen und Simse.
Vorsichtig kletterte er über den Träger und sprang auf das erste Flachdach.
K ünstlereingang.«
So hatte der Taxifahrer die verborgene Tür der Klinik Sainte-Anne genannt, die sich in der Rue de Cabanis Nummer 7 befand. Es handelte sich um einen diskreten Einlass in der langen, fensterlosen Mauer der Festung für Wahnsinnige. Der Umstand kam Chaplain durchaus zupass, denn er hatte nicht vor, die Klinik durch den Haupteingang zu betreten. Er zahlte und stieg aus. Die Luft war eisig.
Es war 8.30 Uhr.
Nach seiner Flucht war er in seinen Mantel gehüllt durch die Straßen geirrt und hatte versucht, die Blutspuren an seiner Kleidung so gut wie möglich zu verbergen. Auch jetzt spürte er noch, wie der Lebenssaft, der durch sein kalt und steif gewordenes Hemd gesickert war, an seiner Haut klebte. Verstört und benommen war er blindlings drauflosmarschiert, ehe er sich mit dem Unausweichlichen abfand. Seine Zukunft war ihm endgültig verbaut. Ihm
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