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Der Ursprung des Bösen

Der Ursprung des Bösen

Titel: Der Ursprung des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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eine Ohrfeige, taumelte und versuchte, den nächsten Schlag mit ihrem gesunden Arm abzuwehren. Schon bildeten sich zwei Lager. Die Kontrahenten wurden lachend angefeuert. Titus schlug erneut zu. Nénette stürzte auf ihren lahmen Arm, mit dem sie den Aufprall nicht abfangen konnte. Als ihr Kopf auf den Asphalt knallte, brach für Janusz die letzte Schutzmauer zusammen. Er ertrug dieses Grauen einfach nicht mehr. War denn überhaupt eines dieser Ungeheuer bei klarem Verstand?
    Er wurde vor die Sprechluke des Büros gestoßen.
    »Name?«
    »Narcisse«, antwortete er, ohne nachzudenken.
    »Narcisse wie?«
    »Einfach nur Narcisse. So heiße ich.«
    »Papiere?«
    »Nein.«
    Der Name war plötzlich in seinem Kopf gewesen. Unerklärlich, aber völlig selbstverständlich.
    »Geburtsdatum und Geburtsort?«
    Er gab das Datum an, das er auf den falschen Papieren von Mathias Freire gelesen hatte. Als Geburtsort entschied er sich für Bordeaux. Einfach so, gewissermaßen als Provokation.
    Der Mann am Schreibtisch hob die Augen.
    »Bist du neu hier?«
    »Gerade erst angekommen.«
    Der Angestellte schob ein nummeriertes Ticket unter der Scheibe hindurch.
    »Als Erstes gehst du nach links zur Gepäckaufbewahrung und gibst dein Bündel ab. Untergebracht bist du in dem Gebäude da drüben rechts, gegenüber den Duschen. Im Erdgeschoss. Die Nummer da ist deine Zimmernummer.«
    Der Mann hinter ihm versetzte ihm einen Klaps auf den Rücken.
    »Hey, Schwein gehabt. Du bist bei den Guten.«
    Janusz ging an der Gepäckaufbewahrung vorüber. Auch hier staute es sich. Unsägliche Gestalten gaben überfüllte Einkaufswagen, Bündel voller Unrat und mit Schrott beladene Kinderwagen ab. Er musste erklären, dass er nichts zum Aufbewahren bei sich hatte. Der Angestellte warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
    »Keine Waffe? Kein Geld?«
    »Nein.«
    »Willst du duschen?«
    »Ja gern.«
    Der Mann beäugte ihn jetzt noch misstrauischer.
    »Nächster Block.«
    In der Gasse zwischen den Duschen und dem Block, wo Janusz schlafen sollte, war es durch die Dunstschwaden aus den Sanitäranlagen deutlich wärmer. Janusz stand vor einem weiteren Schreibtisch, wo man ihm ein Handtuch und ein Hygieneset mit Seife, Zahnbürste und Einmalrasierer überreichte.
    »Bevor du duschst, gehst du in der Garderobe vorbei.«
    Die Garderobe stellte sich als Lagerhalle heraus, wo mehrere Stapel trockener, sauberer Kleidungsstücke auf Abnehmer warteten. Janusz musste unwillkürlich daran denken, dass die ehemaligen Besitzer wahrscheinlich längst tot waren. Also geradezu perfekt für einen Zombie wie ihn! Jemand war ihm beim Aussuchen der richtigen Größe behilflich. Er entschied sich für ein Holzfällerhemd, eine Gärtnerhose, eine Großvaterweste und einen schwarzen Mantel. Das Allerwichtigste aber war ein Paar Turnschuhe, auf das er sofort zusteuerte. In seinen Springerstiefeln hatte er sich schreckliche Blasen gelaufen.
    Das nächste Gebäude wirkte auf den ersten Blick wie ein großer, dampfiger Hamam. Der Raum war weiß gekachelt, die Türen waren rot gestrichen. Links befand sich eine Reihe Toiletten und Duschkabinen, die rechte Wand wurde von Waschbecken eingenommen.
    Bei näherem Hinsehen erkannte er, dass der Zustand der sanitären Anlagen ziemlich übel war. Toilettenpapierrollen schwammen in Urinpfützen, die Kacheln waren mit Spritzern von Erbrochenem verunziert. Überall auf Böden und Wänden fanden sich braune, übelriechende Spuren.
    Penner zogen sich in den Dampfschwaden aus und schrien, grunzten oder stöhnten. Irgendetwas bahnte sich hier an. Wasserfolter ! Hilfskräfte in Gummistiefeln standen schon bereit.
    Janusz suchte nach einer Kabine. Handtuch, Seife und seine neuen Klamotten hielt er fest an die Brust gepresst. Zum ersten Mal wichen die ekelerregenden Gerüche den chemischen Dünsten von Industriereinigern. Trotzdem blieben die Horrorvisionen. Ohne ihre Klamotten wirkten die Obdachlosen dünn und schmächtig. Graue, rote oder bläuliche Haut spannte sich über spitze Knochen. Verletzungen, Infektionen und Wundkrusten formten düstere Motive auf ihrem fleckigen Äußeren.
    Da keine Kabine frei war, befahl ihm einer der Helfer, zu den Waschbecken zu gehen und sich auszuziehen. Janusz weigerte sich. Auf keinen Fall durfte er sich hier nackt zur Schau stellen. Nicht nur weil er noch die Flohhalsbänder trug, er wollte auch nicht seinen gesunden, wohlgenährten Körper zur Schau stellen. Er war ein Meter achtzig groß und wog achtundsiebzig Kilo

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