Der Väter Fluch
untergetaucht. Er behauptet, er hätte überall im ganzen Land kleine Verstecke angelegt. Da kann er sich jahrelang verbergen. Sie werden ihn niemals finden. Nicht einmal das FBI hat es geschafft.«
»Hast du nicht irgendeine Vermutung?«
»Nein. Und falls er in der Wohnung angerufen hat, um zu hinterlassen, wo er hin ist, hab ich die Nachricht nicht bekommen. Ich bin sofort abgehauen, als ich hörte, dass Ernesto und der Doktor umgenietet worden sind.«
»Die Adresse, die du uns gegeben hast, war falsch. Wo hast du wirklich gewohnt?«
»Bei Darrell.«
»Und es hat dir nichts ausgemacht, dass er in dieser Nacht nicht nach Hause gekommen ist?«
»Nö. Er war oft die ganze Nacht weg.«
»Was hat er dann getan?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Rate einfach.«
»Vielleicht war er bei Ruby.«
»Und wo wohnt Ruby?«
»Keine Ahnung.«
Decker dachte einen Moment nach. Irgendetwas stimmte nicht. Zu dem Zeitpunkt, als die Synagoge verwüstet wurde, wohnte Ruby noch zu Hause. Danach zog sie wieder in den Norden. Wanda hatte ihm die ehemalige Adresse gegeben. Doch anschließend war sie erneut abgetaucht und vermutlich nach L. A. zurückgekehrt. Also, wo wohnte sie? Alice Ranger schwor Stein und Bein, dass sie ihre Tochter seit Monaten nicht gesehen hatte. Das leere Zimmer schien das zu bestätigen. Und Wanda suchte noch immer nach Rubys derzeitigem Aufenthaltsort. Sie hatte bereits beim Straßenverkehrsamt nachgefragt, bei den Elektrizitätswerken, beim Gaswerk, bei örtlichen Kreditkartengesellschaften, bei Rubys ehemaliger Bank... Aber bisher war keine neue Adresse aufgetaucht. Langsam kam es Decker so vor, als ob Ruby auch eine zweite Identität hatte, so wie Darreil seinen Ricky Moke. Beide - Darreil und Ruby - wussten, wie man im Internet Dinge manipulierte. Sie konnten aus tausenden Kilometern Entfernung unter hunderten verschiedenen Namen in jedes beliebige Netz eindringen - ein weites Betätigungsfeld für folgenschwere Verbrechen.
Erin redete ununterbrochen weiter: »... hab meinen ganzen Kram in eine Tasche gestopft und bin dann hierher geflüchtet. Ich hab Darreil nie meinen wirklichen Nachnamen verraten. Aber ich weiß, dass er in der Lage gewesen wäre, ihn rauszufinden, wenn er gewollt hätte.« Sie knabberte an einem nicht mehr vorhandenen Fingernagel; ihre Fingerkuppen waren rau und gerötet. »Glauben Sie, dass er hier auftaucht?«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen.«
»Diese Gegend wird zwar kontrolliert, aber die Wachleute sehen nicht sehr Furcht erregend aus. Ich könnte sie wahrscheinlich ausschalten, wenn ich eine Waffe hätte.« Decker betrachtete Erins kindliches Gesicht. Die Kälte ihrer Worte ja gten ihm einen Schauer über den Rücken. »Ich werde das Revier in West L. A. bitten, jemanden hier rauszuschicken. Die werden dann ein paar Streifenwagen Patrouille fahren lassen, bis die ganze Geschichte geklärt ist.«
»Gut. Ich möchte nicht, dass meiner Tante was Schlimmes zustößt. Sie ist der einzige Mensch auf der Welt, der jemals nett zu mir war«, sagte Erin.
Sie war wirklich ein gebrochener Mensch, aber keineswegs harmlos. Gerade Heroinhuren - vor allem wenn sie noch jung waren und in ihrem kurzen Leben auf der Straße schon ziemlich viel erlebt hatten - waren absolut unberechenbar.
»Also blieb Darreil, obwohl er mit dir zusammenwohnte, nächtelang weg?«
»Manchmal.«
»Hat er dir irgendwas darüber erzählt?«
»Nein. Ich hab angenommen, dass er bei Ruby war und sie ihre Spielchen abzogen.«
»Und es war dir egal, was Darrell machte?«
»Sie meinen, ob ich eifersüchtig war?« Sie lachte. »Es war mir völlig egal, solange er mich gut behandelte.«
Gut behandelte - das hieß, sie mit Stoff versorgte. »Ich dachte mehr an diese illegalen Sachen. Hast du dir keine Sorgen gemacht, dass die Polizei dich eines Tages schnappen könnte?«
»Doch, schon. Aber der Stoff war das Risiko wert.« Sie rieb sich die Nase. »Meinen Sie, ich soll mich testen lassen?«
»Auf Aids?«
»Ja. Als ich bei Darreil eingezogen bin, hat er darauf bestanden, dass ich einen Test mache. Der war übrigens negativ. Seitdem hab ich es nur mit... äh... mit drei anderen Typen getrieben. Soll ich trotzdem noch mal einen Test machen?«
»Wäre keine schlechte Idee.«
»Ja, dachte ich mir auch schon.« Sie schniefte. »Sie werden mich verhaften oder so, richtig?«
»Richtig.«
»Ich brauche einen Anwalt, nicht?«
»Ja«, sagte Decker. »Wenn du dir keinen leisten kannst, bekommst du einen
Weitere Kostenlose Bücher