Der Väter Fluch
untersuchen. Nachdem er das Zeichen erhalten hatte, dass alles in Ordnung sei, zog Decker sich die Maske über und trat die Vordertür ein. Eine Hitzewelle erfasste seinen Körper und drückte ihm die Kehle zu. Er spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben, wie ihm schwindlig wurde. Er zwang sich, langsam und gleichmäßig zu atmen.
Nicht zu tief, nicht zu flach.
Da er eine Vollmaske trug, hörte er jeden seiner Atemzüge überlaut. Er schwitzte heftig, während er sich vorwärts kämpfte.
Von Sicht konnte nicht die Rede sein: Die schwere Maske, die Dunkelheit und der Rauch sorgten dafür, dass Decker kaum seine Füße sah. Er knipste die Taschenlampe an, erreichte damit aber nur, dass sich der dunkelgraue Qualm in hellgrauen verwandelte. Er tastete an der Wand nach einem Lichtschalter, konnte aber keinen finden. Als er sich langsam vorwärts bewegte, stieß er mit seinen Beinen etwa in Kniehöhe plötzlich auf ein unbewegliches, sperriges Objekt, wodurch er vornüberstürzte und die Taschenlampe fallen ließ. Als er das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, beugte er sich nach unten, um festzustellen, worüber er da gestolpert war. Seine Handflächen versanken in etwas Weichem und Federndem.
Man öffnet die Tür und steht direkt vor einem Bett. Er fühlte eine Matratze.
Die Taschenlampe war auf den Boden gefallen und sandte einen trüben Lichtstrahl in Richtung Zimmerdecke. Die Staubteilchen reflektierten die Strahlen und hüllten den Raum in einen unheimlichen Schimmer. Immer noch konnte Decker kaum etwas erkennen. Seine Finger glitten über Haufen von Bettzeug, klopften die Decken und Laken ab.
Und dann fühlte er etwas Festes.
Sein Herz begann zu rasen, während er sich vorbeugte, um herauszufinden, was er entdeckt hatte. Er hielt einen Fuß in der Hand - immer noch warm, was aber nicht verwunderlich war, weil in der Hütte eine Gluthitze herrschte. Der Fuß gehörte zu einem Bein. Er folgte dem Bein weiter aufwärts und stellte fest, dass es zu einem Körper gehörte - zum nackten Körper einer Frau, deren Arme an zwei Bettpfosten gefesselt waren. Er ging so nahe heran wie er konnte, aber Rauch und Ruß verwehrten ihm die Sicht. Doch der Geruch von Blut war unverkennbar.
Als er sich aufrichtete, spürte er, wie ihm schwindlig wurde und er zu schwanken begann. Er wartete einen Moment, bis sein Gleichgewicht und seine Ruhe wiederkehrten; dann beugte er sich über den Körper und presste seine Finger gegen die weiche Stelle am Hals.
Er suchte nach dem Puls, und als er ihn gefunden hatte, konzentrierte er sich sofort auf Erste-Hilfe-Maßnahmen: Die Blutung stillen, auf Schock behandeln, Transport zum Hubschrauber.
Doch hier war nicht Vietnam, sondern Los Angeles, frühes einundzwanzigstes Jahrhundert.
Es gibt hier Profis für so was, Decker.
Er band ihre Handgelenke los, griff nach dem Mikrofon und rief die Ambulanz.
36
Er war irgendwo da draußen, verborgen im Schutz der Dunkelheit, inmitten der Wildnis. Vielleicht war er nervös, vielleicht aber grinste er nur bei dem Gedanken daran, dass die Polizei jetzt alle Hebel in Bewegung setzte, mitten durch sein Territorium trampelte und Katz und Maus mit ihm spielte. Decker war nicht allzu optimistisch, selbst als die Suchscheinwerfer der Helikopter über das dicht bewachsene Gebiet glitten und die Cops mit ihren Taschenlampen jeden Baum und jeden Strauch absuchten. Es gab einfach zu viele Möglichkeiten, sich in den Hügeln zu verstecken. Trotzdem musste Decker den Schein wahren, weil sonst die Gefahr bestand, Holt ganz zu verlieren. Möglicherweise würde ihn diese Demonstration der Stärke davon abhalten, endgültig Amok zu laufen. Und vielleicht wäre es ja am Morgen, im Licht der Sonne und mithilfe einer ausgeruhten Mannschaft möglich, den Mistkerl aus seinem Versteck aufzuscheuchen.
Er gab seinen Leuten zwei Grundregeln mit auf den Weg.
Regel eins: Lasst euch nicht erschießen.
Regel zwei: Es wird nicht geschossen - selbst wenn man auf euch schießt.
Denn aller Wahrscheinlichkeit nach konnte man davon ausgehen, dass die größte Gefahr vom eigenen und nicht vom feindlichen Feuer drohte. Nachdem er die Aufgaben, die Positionen und die einzelnen Suchabschnitte verteilt hatte, überprüfte er noch einmal seine eigene Ausrüstung. Zufrieden stellte er fest, dass alles funktionierte, und entschloss sich dann, das Gelände auf eigene Faust zu durchstreifen - eine ebenso tollkühne wie verrückte Entscheidung. Noch vor einer Stunde hatte er angeordnet,
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