Der Vampir der mich liebte
als er begriff, was er dort sah. In solchen Situationen gibt es ja diesen Augenblick, in dem man versucht, alles Mögliche in dem zu erkennen, was man sieht, nur das nicht, was es ist.
»Warte hier«, murmelte Alcide mit heiserer Stimme.
Das war mir nur recht.
Doch als er die unverschlossene Eingangstür öffnete, um die Boutique zu betreten, sah ich sofort, was gleich dahinter auf dem Boden lag. Ich musste einen lauten Aufschrei unterdrücken.
Zum Glück besaß Alcide ein Handy. Er rief Colonel Flood an, erzählte ihm, was passiert war, und bat ihn, zu Mrs Yancy zu fahren. Dann rief er die Polizei an. Darum kamen wir einfach nicht herum. In diesem Teil der Stadt war viel los, und es war gut möglich, dass uns jemand auf den Stufen zur Eingangstür der Boutique gesehen hatte.
Das war wirklich ein Tag wie gemacht dafür, Leichen zu finden - für mich und auch für die Polizei von Shreveport. Soweit ich wusste, gab es unter den Einsatzkräften auch einige Vampire, aber die übernahmen natürlich immer die Nachtschichten, also sprachen wir mit den guten alten menschlichen Polizisten. Es war kein einziger Werwolf oder Gestaltwandler unter ihnen, nicht mal irgendein Mensch, der Gedanken lesen konnte. All diese Polizisten waren ganz normale Leute, die uns für tendenziell verdächtig hielten.
»Was wollten Sie eigentlich hier?«, fragte Detective Coughlin, der braunes Haar, ein wettergegerbtes Gesicht und einen Bierbauch hatte, der der Stolz eines jeden Brauereipferds gewesen wäre.
Alcide wirkte überrascht. So weit hatte er gar nicht gedacht, was nicht weiter verwunderlich war. Ich hatte Adabelle, als sie noch am Leben gewesen war, nicht gekannt, und ich hatte auch, im Gegensatz zu ihm, keinen Fuß in diese Boutique für Brautmoden gesetzt. Nicht ich hatte den schlimmsten Schock erlebt. Also war es an mir, den Faden aufzunehmen.
»Das war meine Idee, Detective«, sagte ich prompt. »Meine Großmutter, die letztes Jahr starb, sagte mir immer: >Wenn du ein Hochzeitskleid brauchst, Sookie, geh zu Verena Rose.< Ich habe gar nicht daran gedacht, vorher anzurufen und zu fragen, ob heute geöffnet ist.«
»Sie und Mr Herveaux wollen also heiraten?«
»Ja«, antwortete Alcide, zog mich an sich und legte einen Arm um mich. »Wir sind praktisch schon auf dem Weg zum Altar.«
Ich lächelte, aber natürlich auf angemessen zurückhaltende Weise.
»Nun, da gratuliere ich.« Detective Coughlin beäugte uns nachdenklich. »Miss Stackhouse, Sie haben Adabelle Yancy also nie persönlich getroffen?«
»Ich habe wohl mal die ältere Mrs Yancy getroffen, als ich noch ein kleines Mädchen war«, sagte ich vorsichtig. »Aber ich erinnere mich nicht an sie. Alcides Familie kennt die Yancys natürlich. Er wohnt schließlich schon sein ganzes Leben hier.« Und sie sind ja alle Werwölfe.
Coughlin konzentrierte sein Interesse immer noch auf mich. »Und Sie haben die Boutique nicht betreten? Nur Mr Herveaux?«
»Alcide ist reingegangen, während ich hier draußen gewartet habe.« Ich versuchte, zart und zerbrechlich zu wirken, was mir nicht ganz leicht fällt. Ich bin gesund und athletisch, und wenn ich auch keine Kugelstoßerin bin, so doch sicher auch nicht Kate Moss. »Ich habe diese - diese Hand gesehen. Da bin ich lieber draußen geblieben.«
»Eine gute Idee«, erwiderte Detective Coughlin. »Das da drinnen ist nicht für jedermanns Augen geeignet.« Er wirkte um zwanzig Jahre gealtert, als er das aussprach. Es tat mir leid, dass sein Beruf so hart war. Er dachte, dass die beiden wüst zugerichteten Leichen dort in dem Haus eine Vernichtung von zwei guten Leben waren und die Tat von jemandem, den er nur zu gern verhaften würde. »Hat einer von Ihnen eine Ahnung, warum jemand zwei Ladys wie diese derart zerfetzen wollte?«
»Zwei?«, sagte Alcide langsam und benommen.
»Zwei?«, sagte auch ich, weniger zurückhaltend.
»Ja, zwei«, sagte der Detective schleppend. Er wollte unsere Reaktionen sehen, und nun hatte er sie gesehen. Was er darüber dachte, würde ich noch herausbekommen.
»Die Armen«, sagte ich, und die Tränen, die meine Augen füllten, waren echt. Es war wohltuend, dass ich mich an Alcides Brust lehnen konnte; und als hätte er meine Gedanken gelesen, zog er den Reißverschluss seiner Lederjacke herunter und schlang die offenen Seiten um mich, damit mir wärmer wurde. »Wenn eine von ihnen Adabelle Yancy ist, wer ist dann die andere?«
»Es ist nicht viel übrig von der anderen«, erwiderte Coughlin, ehe er
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