Der Vampir der mich liebte
Ich biss mir buchstäblich auf die Lippen, damit keine der Bemerkungen entschlüpfte, die mir auf der Zunge lagen. »Alcide, glaubst du, dass die andere Leiche Adabelles Freundin gewesen ist? Oder irgendjemand, der zufällig gerade in der Boutique bei Adabelle war, als die Hexen kamen?«
»Da die zweite Leiche zu großen Teilen unvollständig war, ist es hoffentlich eine der Hexen gewesen. Und ich hoffe, Adabelle hat sich gewehrt.«
»Das hoffe ich auch.« Ich nickte. »Ich fahre jetzt besser nach Bon Temps zurück. Eric wird bald aufwachen. Und vergiss nicht, deinem Vater zu erzählen, dass wir verlobt sind.«
Sein Gesichtsausdruck war das einzig Lustige an diesem Tag.
Kapitel 6
Auf dem Weg nach Hause dachte ich über meinen Tag in Shreveport nach. Ich hatte Alcide gebeten, per Handy auch noch bei der Polizei in Bon Temps anzurufen, und eine weitere schlechte Nachricht erhalten. Nein, sie hatten nichts Neues erfahren über Jason, und es hatte auch keiner angerufen, der ihn gesehen hätte. Also fuhr ich auf meinem Heimweg gar nicht mehr bei der Polizei vorbei. Ich musste allerdings in den Lebensmittelladen, weil ich Brot und Margarine brauchte, und ich musste im Spirituosenladen synthetisches Blut besorgen.
Als ich die Tür zum Supersparmarkt aufstieß, fiel mir als Erstes ein kleines Regal mit Blut in Flaschen ins Auge, was mir schon mal den Weg in den Schnapsladen ersparte. Dann sah ich das Plakat mit Erics Gesicht darauf. Vermutlich war es das Foto, das Eric zur Eröffnung des Fangtasia hatte machen lassen, da es so ganz und gar nicht bedrohlich wirkte. Das Bild hatte eine überaus charmante, gewinnende Ausstrahlung, und kein Mensch im weiten Universum wäre je auf die Idee verfallen, dass der Abgebildete beißen könnte. Oben drüber stand in großen Lettern: »HABEN SIE DIESEN VAMPIR GESEHEN?«
Aufmerksam las ich den Text durch. Alles, was Jason erzählt hatte, stimmte. Fünfzigtausend Dollar ist eine Menge Geld. Diese Hallow musste wirklich absolut verrückt sein nach Eric, wenn sie für eine solche Summe tatsächlich nichts weiter als Sex von ihm wollte. Es war kaum vorstellbar, dass die Übernahme des Fangtasia (sobald sie Erics habhaft geworden war) für sie viel Profit abwerfen würde, wenn sie vorher eine so hohe Belohnung ausgezahlt hatte. Mir schien es zunehmend zweifelhaft, dass ich die ganze Geschichte kannte, und ich war mir zunehmend sicher, dass ich meine Nase da in etwas hineinsteckte, was mich schließlich den Kopf kosten könnte.
Hoyt Fortenberry, ein guter Kumpel von Jason, lud in der Tiefkühlecke Pizzas in seinen Einkaufswagen. »Hey, Sookie, was meinst du, wo Jason abgeblieben ist?«, rief er, sobald er mich sah. Hoyt, groß und massig und nicht gerade ein Intellektueller, sah aufrichtig besorgt drein.
»Wenn ich das nur wüsste«, erwiderte ich und ging zu ihm hinüber, damit nicht jeder im Laden jedes einzelne Wort unseres Gesprächs mitbekam. »Ich mache mir ziemliche Sorgen.«
»Meinst du nicht, dass er einfach mit 'ner neuen Freundin abgehauen ist? Die Kleine vom Silvesterabend war doch ziemlich süß.«
»Wie hieß die eigentlich?«
»Crystal. Crystal Norris.«
»Und wo wohnt sie?«
»In Hotshot unten.« Er nickte in Richtung Süden.
Hotshot war noch kleiner als Bon Temps. Es lag ungefähr zehn Meilen entfernt und stand in dem Ruf, eine höchst seltsame kleine Gemeinde zu sein. Die Kinder aus Hotshot, die in Bon Temps zur Schule gingen, steckten immer zusammen, und sie waren alle ein klein wenig ... na ja, anders. Es überraschte mich überhaupt nicht, dass Crystal aus Hotshot kam.
»Also«, sagte Hoyt, der unbedingt seine Idee weiterverfolgen wollte, »vielleicht ist er bei dieser Crystal.« Doch seine Gedanken verrieten mir, dass er daran gar nicht glaubte. Er wollte nur mich und sich selbst beruhigen. Wir wussten beide, dass Jason längst angerufen hätte, ganz egal wie sehr er sich mit welcher Frau auch immer amüsierte.
Ich beschloss, Crystal auf jeden Fall anzurufen, sobald ich mal zehn Minuten den Kopf dafür frei hätte - was heute Abend aber wohl schwierig werden könnte. Also bat ich Hoyt, Crystals Namen an den Sheriff weiterzugeben, und er versprach es mir, obwohl er nicht allzu erfreut über diese Idee war. Er hätte sich glatt geweigert, wenn der Vermisste nicht gerade Jason gewesen wäre. Jason war Hoyts Kumpel und für ihn ein nie versiegender Quell für Freizeitvergnügen und Amüsements aller Art, denn Jason war viel cleverer und
Weitere Kostenlose Bücher