Der Vampir der mich liebte
wird?«
Sie saß auf der Sofakante und hatte ihre schlanken Hände angestarrt. Als ich zu sprechen begonnen hatte, blickte sie mir konzentriert in die Augen. Diese Nachricht war ihr nicht gänzlich neu.
»Seit wann?«, fragte sie. Ihre Stimme klang angenehm rau. Dieser Frau hörte man gern zu, vor allem als Mann.
»Seit der Nacht vom ersten auf den zweiten Januar. Er ging abends bei mir weg, und am nächsten Morgen erschien er nicht zur Arbeit. Auf dem kleinen Steg hinter seinem Haus war Blut. Sein Pick-up parkte vorne in der Auffahrt, und die Tür zu seinem Wagen stand offen.«
»Ich weiß überhaupt nichts darüber«, sagte sie prompt.
Sie log.
»Wer hat dir gesagt, dass ich irgendwas damit zu tun habe?«, fragte sie und wurde langsam zickig. »Ich habe meine Rechte. Ich muss nicht mit dir reden.«
Na klar, das war der 29. Zusatz zur Verfassung der Vereinigten Staaten: Gestaltwandler waren nicht verpflichtet, mit Sookie Stackhouse zu reden.
»Doch, das musst du.« Jetzt verließ auch ich die freundliche Schiene. »Mir geht's nicht so wie dir. Ich habe keine Schwester oder einen Neffen.« Ich nickte zu dem Kleinkind hinüber, immerhin hatte ich eine Fifty-fifty-Chance, richtig zu liegen. »Ich habe weder Mutter noch Vater noch irgendwen, irgendwen , außer meinem Bruder.« Ich holte tief Luft. »Ich will wissen, wo Jason ist. Und falls du etwas weißt, solltest du es mir besser sagen.«
»Ach ja? Was wirst du sonst tun?« Ihr schmales Gesicht war verzerrt. Aber sie wollte wirklich wissen, womit ich sie unter Druck setzen wollte. So viel konnte ich ihren Gedanken entnehmen.
»Ja, was?«, fragte eine ruhigere Stimme.
Ich blickte mich um. In der Tür stand ein Mann von vielleicht Anfang vierzig. Er trug einen gestutzten graumelierten Bart, und sein kurzgeschnittenes Haar lag glatt am Kopf an.
Der Mann war vielleicht eins siebzig, von geschmeidiger Gestalt und hatte muskulöse Arme.
»Alles, was nötig sein wird«, sagte ich. Ich sah ihm direkt in die Augen. Sie waren von einem sonderbar goldenen Grün. Er wirkte im Grunde nicht feindselig, sondern eher neugierig.
»Warum sind Sie hier?«, fragte er, wieder in diesem neutralen Ton.
»Wer sind Sie?« Ich musste wissen, wer dieser Typ war. Schließlich wollte ich meine Zeit nicht an jemanden verschwenden, der bloß gerade nichts Besseres zu tun hatte, als sich meine Geschichte anzuhören. Aber er strahlte Autorität aus und schien auch nicht aggressiv. Ich hätte schwören können, dass dieser Mann auf jeden Fall ein Gespräch wert war.
»Ich bin Calvin Norris, Crystals Onkel.« Seinem Gedankenmuster nach war er ebenfalls irgendeine Art Gestaltwandler. Da es in diesem Dorf überhaupt keine Hunde gab, nahm ich an, dass sie Werwölfe waren.
»Mr Norris, ich bin Sookie Stackhouse.« Sein Gesichtsausdruck verriet wachsendes Interesse. »Ihre Nichte war mit meinem Bruder Jason auf der Silvesterparty in Merlotte's Bar. Im Laufe der darauffolgenden Nacht verschwand mein Bruder plötzlich spurlos. Ich möchte erfahren, ob Crystal irgendwas weiß, das mir bei meiner Suche helfen könnte.«
Calvin Norris bückte sich und tätschelte dem kleinen Kind den Kopf, dann ging er hinüber zum Sofa, wo Crystal saß und ein missmutiges Gesicht machte. Er setzte sich neben sie, stützte die Ellenbogen auf die Knie und ließ die Hände ganz entspannt und locker zwischen den Beinen hängen. Sein Kopf neigte sich leicht, als er in Crystals mürrisches Gesicht sah.
»Das ist doch nur verständlich, Crystal. Diese junge Frau will wissen, wo ihr Bruder ist. Erzähl ihr, was du darüber weißt.«
»Warum sollte ich ihr irgendwas erzählen?«, schnappte sie. »Sie kommt hierher und versucht mir Angst einzujagen.«
»Weil es nur höflich ist, jemandem in Schwierigkeiten zu helfen. Freiwillig bist du ja nicht zu ihr gegangen und hast deine Hilfe angeboten, oder?«
»Ich wusste nicht, dass er bloß vermisst wird. Ich dachte, er -« Ihre Worte brachen ab, als ihr klar wurde, dass sie sich bereits verraten hatte.
Calvins ganzer Körper spannte sich an. Er hatte eigentlich nicht erwartet, dass Crystal etwas über Jasons Verschwinden wusste. Seine Nichte sollte einfach bloß höflich sein zu mir. Das konnte ich in seinen Gedanken lesen, aber sehr viel mehr leider nicht. Ihre Beziehung zueinander konnte ich nicht entziffern. Er hatte irgendwie Macht über das Mädchen, das war ziemlich offensichtlich, aber welche Art Macht? Es war mehr als nur die Autorität eines Onkels; mir schien,
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