Der Vampir der mich liebte
Sookie«, sagte Andy, als ich ihm Tee nachgoss.
Ausdruckslos sah ich ihm ins Gesicht. Lügner , dachte ich. Eine Sekunde später ließ Andy seinen Blick beklommen schweifen und konzentrierte ihn dann auf den Salzstreuer, der plötzlich eine ganz besonders faszinierende Ausstrahlung zu haben schien.
»Hast du Bill in letzter Zeit mal gesehen?«, fragte Portia und tupfte sich mit der Serviette den Mund ab. Sie wollte die unangenehme Stille mit einer freundlichen Frage beenden, machte mich aber nur noch wütender.
»Nein«, erwiderte ich. »Kann ich euch noch irgendwas bringen?«
»Nein, danke, wir haben alles«, sagte sie schnell. Ich drehte mich auf dem Absatz um und ging. Dann trat ein Lächeln auf meine Lippen: Gerade als ich dachte, Miststück , dachte Portia, Was für ein Miststück.
Geiler Arsch , schaltete sich Andy ein. Verdammt, diese Gedankenleserei. Was für ein Scheiß. Ich würde es meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Wie ich alle Leute beneidete, die nur mit den Ohren hörten.
Kevin und Kenya waren auch da, bedacht darauf, keinen Alkohol zu trinken. Dieses Polizistenteam hatte unter den Leuten von Bon Temps schon einige Heiterkeit ausgelöst. Der blasse Kevin war dürr und schmal wie ein Langstreckenläufer; schon die Ausrüstung, die er an seinem Uniformgürtel trug, schien eine zu große Last für ihn zu sein. Seine Partnerin Kenya war fünf Zentimeter größer, mehrere Kilo schwerer und ungefähr fünfzehn Nuancen dunkler als er. Die Typen, die immer an der Bar herumhingen, wetteten bereits seit zwei Jahren darauf, ob sie nun ein Liebespaar werden würden oder nicht - nur formulierten sie es natürlich etwas anders.
Wider Willen wusste ich, dass Kenya (sowie ihre Handschellen und ihr Schlagstock) in den Tagträumen viel zu vieler Gäste vorkam. Und ich wusste ebenfalls, dass gerade die Männer, die Kevin am gnadenlosesten hänselten und verspotteten, die anzüglichsten Phantasien hatten. Als ich Hamburger an Kevins und Kenyas Tisch brachte, hörte ich, wie Kenya sich fragte, ob sie Bud Dearborn vorschlagen sollte, für die Suche nach Jason die Spürhunde aus einem Nachbarbezirk anzufordern, während Kevin sich über das Herz seiner Mutter Sorgen machte, das in letzter Zeit häufiger als sonst verrückt spielte.
»Sookie«, sagte Kevin, nachdem ich ihnen noch eine Flasche Ketchup gebracht hatte, »ich wollte dir noch erzählen, dass heute ein paar Leute bei der Polizei ein Suchplakat mit einem Vampir drauf aufgehängt haben.«
»Ich habe eins beim Einkaufen gesehen«, erwiderte ich.
»Ist mir schon klar, dass du da keine Expertin bist, bloß weil du mit einem Vampir befreundet warst«, sagte Kevin vorsichtig. Kevin bemühte sich immer, freundlich zu mir zu sein. »Aber ich dachte, vielleicht hast du diesen Vampir schon mal gesehen. Bevor er verschwunden ist, meine ich natürlich.«
Kenya sah zu mir auf, ihre dunklen Augen musterten mich mit großem Interesse. Sie dachte, dass ich irgendwie immer in die kriminellen Vorkommnisse von Bon Temps verwickelt war, ohne allerdings selbst kriminell zu sein (danke, Kenya). Um meinetwillen hoffte sie, dass Jason noch am Leben war. Kevin dachte, dass ich immer nett zu ihm und Kenya war, er mir aber trotzdem lieber nicht zu nahe kommen wollte. Ich seufzte, hoffentlich unhörbar. Sie warteten auf eine Antwort. Ich zögerte, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. An die Wahrheit kann man sich stets am besten erinnern.
»Klar, den hab' ich schon mal gesehen. Eric gehört die Vampir-Bar in Shreveport«, sagte ich. »Ich bin ihm begegnet, als ich mit Bill dort war.«
»Und in letzter Zeit hast du ihn nicht gesehen?«
»Ich habe ihn sicher nicht aus dem Fangtasia entführt«, sagte ich in ziemlich sarkastischem Ton.
Kenya sah mich verdrossen an, was ich ihr nicht verdenken konnte. »Keiner sagt, dass du das getan hast«, antwortete sie in einem Tonfall, in dem »Fang bloß keinen Streit an« mitschwang. Ich zuckte die Achseln und ging wieder an die Arbeit.
Ich hatte jetzt viel zu tun. Einige Leute wollten noch ein Abendessen (manche tranken es auch), und einige Stammgäste trudelten ein, nachdem sie zu Hause gegessen hatten. Holly war genauso beschäftigt wie ich, und als einer der Männer, die bei der Telefongesellschaft arbeiteten, sein Bier verschüttete, musste sie Wischmopp und Eimer holen. Sie lief zwischen ihren Tischen hin und her, als die Tür sich öffnete. Ich sah, wie sie Sid Matt Lancaster seinen Kaffee brachte, mit dem Rücken zur
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