Der Vampir der mich liebte
Stimme?«, fragte ich leise. Ihr Gesicht war angeschwollen von dem Sturz auf den Erdboden, und es war über und über bedeckt mit Schürfwunden und Kratzern. Dies waren die geringsten ihrer Verletzungen, aber sie wirkten sehr schmerzhaft auf mich.
»Ja«, hauchte sie.
»Ich bin die, die dich am Straßenrand gefunden hat«, sagte ich. »Auf dem Weg nach Hause, südlich von Bon Temps. Du hast an der Landstraße gelegen.«
»Verstehe«, murmelte sie.
»Vermutlich«, fuhr ich sorgfältig fort, »hat dich jemand gezwungen, aus seinem Auto auszusteigen, und dann hat dich ein anderes Auto erfasst. Aber du weißt ja, wie das mit so einem Trauma ist. Manchmal erinnern sich die Leute an gar nichts. « Eine der Krankenschwestern drehte sich mit neugieriger Miene zu mir um. Den letzten Teil meines Satzes hatte sie verstanden. »Mach dir nichts draus, wenn du dich nicht erinnern kannst.«
»Ich versuch's«, sagte sie vieldeutig, immer noch mit dieser gedämpften Flüsterstimme, die von sehr weit weg zu kommen schien.
Mehr konnte ich hier nicht tun. Also verabschiedete ich mich flüsternd, bedankte mich bei den Krankenschwestern und ging hinaus zu meinem Auto. Dank der Decken (die ich Bill wohl besser ersetzen sollte) war meine Rückbank gar nicht so sehr beschmutzt.
Na also, wenigstens etwas, über das ich mich freuen konnte.
Ich fragte mich, wo die Decken geblieben waren. Hatte die Polizei sie mitgenommen? Würde das Krankenhaus mich deswegen anrufen? Oder waren sie einfach im Müll gelandet? Ich zuckte die Achseln. Es war völlig sinnlos, mir jetzt noch über den Verbleib dieser beiden Stoffstücke Sorgen zu machen. Meine Liste quoll auch so schon über vor lauter Sorgen. Beispielsweise gefiel es mir überhaupt nicht, dass die Werwölfe sich im Merlotte's treffen wollten. Das verstrickte Sam viel zu sehr in ihre Angelegenheiten. Er war schließlich nur ein Gestaltwandler, und Gestaltwandler waren nur sehr lose mit der Welt der übernatürlichen Wesen verbunden. Sie lebten eher nach der Devise »Jeder Gestaltwandler kümmert sich um sich selbst«, wogegen die Werwölfe stets gut organisiert waren. Und jetzt benutzten sie das Merlotte's als Treffpunkt, nach der Sperrstunde.
Und Eric gab es ja auch noch. O Gott. Eric wartete sicher schon zu Hause.
Ich ertappte mich bei der Frage, wie spät es wohl in Peru sein mochte. Bill amüsierte sich sicher sehr viel besser als ich. Seit dem Silvesterabend war ich total erledigt, noch nie hatte ich mich derart erschöpft gefühlt.
Ich war schon links abgebogen, auf die Straße, die schließlich am Merlotte's vorbeiführte. Im Scheinwerferlicht blitzten Bäume und Büsche auf. Wenigstens rannten keine Vampire mehr am Straßenrand entlang...
»Wach auf«, sagte die Frau, die neben mir auf dem Beifahrersitz saß.
»Was?« Ich riss die Augen auf. Das Auto schlingerte heftig.
»Du bist eingeschlafen.«
Zu diesem Zeitpunkt hätte es mich auch nicht mehr überrascht, wenn ein gestrandeter Wal quer auf der Straße gelegen hätte.
»Wer bist du?«, fragte ich, als ich meine Stimme wieder einigermaßen unter Kontrolle zu haben meinte.
»Claudine.«
Im fahlen Schein der Armaturenbeleuchtung konnte ich sie kaum erkennen. Tatsächlich, das war die große und wunderschöne Frau, die am Silvesterabend im Merlotte's und gestern Morgen mit Tara unterwegs gewesen war. »Wie kommst du in mein Auto? Und warum bist du hier?«
»Weil ihr hier bei euch in der Gegend eine ungewöhnlich hohe Anzahl übernatürlicher Aktivitäten hattet in den letzten ein, zwei Wochen. Ich bin die Vermittlerin.«
»Vermittlerin? Zwischen wem vermittelst du?«
»Zwischen den zwei Welten. Oder, um genauer zu sein, zwischen den drei Welten.«
Manchmal hält das Leben mehr für dich bereit, als du verstehen kannst. Dann nimm es einfach hin.
»Bist du so was wie ein Engel? Hast du mich deshalb aufgeweckt, als ich am Steuer eingeschlafen bin?«
»Nein, so weit habe ich es noch nicht gebracht. Du bist jetzt zu müde, um das zu begreifen. Ignorier die Mythologie und nimm mich einfach hin, wie ich bin.«
Ich fühlte mich sehr merkwürdig.
»Sieh mal.« Claudine zeigte mit dem Finger nach draußen. »Der Mann da winkt dir zu.«
Tatsächlich, auf dem Parkplatz von Merlotte's Bar stand ein wild winkender Vampir. Es war Chow.
»Na prima«, sagte ich mürrisch. »Es stört dich hoffentlich nicht, wenn ich hier anhalte, Claudine. Ich muss da kurz rein.«
»Aber nein, gar nicht.«
Chow dirigierte mich an die Rückseite
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