Der Vampir der mich liebte
Maria-Star steht!«, rief der Colonel mir hinterher. »Wir müssen unsere Autos und unsere Kleider vom Friedhof holen.«
Okay, das erklärte immerhin schon mal meine merkwürdige Entdeckung auf dem Weg hierher.
Als ich langsam die Auffahrt entlangfuhr, sahen die Wölfe mir nach, Alcide stand etwas abseits, und sein schwarz behaarter Kopf folgte meinem Weg. Welche wölfischen Gedanken mochte er darin wohl hegen, fragte ich mich.
Das nächste Krankenhaus lag nicht in Bon Temps, das viel zu klein war (wir können von Glück sagen, dass wir einen Wal-Mart haben), sondern im nahe gelegenen Clarice, dem Sitz der Kreisverwaltung. Glücklicherweise stand es am Rande der Stadt, an der Bon Temps zugewandten Seite. Die Fahrt ins Krankenhaus schien Jahre zu dauern; in Wirklichkeit brauchte ich nur zwanzig Minuten. Während der ersten zehn Minuten stöhnte meine Passagierin, dann war sie so still, dass es schon unheimlich wurde. Ich sprach mit ihr, bat sie, etwas zu sagen, fragte sie, wie alt sie war, und schaltete das Radio ein, weil ich auf eine Reaktion von Maria-Star hoffte.
Da ich keine Zeit verlieren wollte, hielt ich nicht an, um nachzusehen, was los war. Ich hätte sowieso nicht gewusst, was ich tun sollte. Also raste ich lieber in einem Höllentempo die Landstraße entlang. Als ich endlich die Notaufnahme erreicht und nach den beiden Krankenschwestern gerufen hatte, die rauchend draußen vor der Tür standen, hielt ich das arme Mädchen für tot.
Sie war nicht tot, wenn ich mir die Aktivitäten so ansah, die in den nächsten ein, zwei Minuten um sie herum losbrachen.
Der Landkreis besitzt natürlich nur ein kleines Krankenhaus, das längst nicht so gut ausgestattet ist wie ein Krankenhaus in einer Großstadt. Wir schätzten uns schon glücklich, überhaupt eins in der Nähe zu haben. Aber an diesem Abend retteten sie dort einem Werwolf das Leben.
Die Ärztin, eine dünne Frau mit graugesprenkeltem Haar und einer großen schwarzgeränderten Brille, stellte mir ein paar gezielte Fragen. Ich konnte keine davon beantworten, obwohl ich mir auf der Fahrt ins Krankenhaus schon eine Geschichte zurechtgelegt hatte. Als die Ärztin merkte, dass ich völlig ahnungslos war, gab sie mir zu verstehen, dass ich gefälligst nicht im Weg herumstehen und ihr Team arbeiten lassen solle. Also setzte ich mich in die Eingangshalle und überarbeitete meine Geschichte noch mal ein bisschen.
Hier konnte ich mich in keiner Weise nützlich machen, und das grelle Neonlicht und der glänzende Linoleumboden verbreiteten eine unwirtliche und unfreundliche Atmosphäre. Ich versuchte, in einer Zeitschrift zu lesen, warf sie nach ein paar Minuten aber wieder auf den Tisch. Zum siebten oder achten Mal überlegte ich mir, ob ich nicht einfach abhauen sollte. Aber hinter dem Aufnahmeschalter saß eine Frau, die mich fest im Auge behielt. Ein paar Minuten später beschloss ich, mir in der Damentoilette endlich das Blut von den Händen zu waschen. Und weil ich schon dabei war, wischte ich mit einem feuchten Papiertuch auch meinen Mantel ab, was aber größtenteils vergebliche Liebesmüh' war.
Als ich von der Damentoilette zurückkam, warteten bereits zwei Polizisten auf mich. Beides Männer und beide sehr groß. Ihre wattierten Jacken raschelten und das Leder ihrer Gürtel und ihrer Ausrüstung knarrte. Wie die beiden sich je an jemanden anschleichen wollten, war mir ein Rätsel.
Der größere Mann war auch der ältere. Sein stahlgraues Haar war sehr kurz geschnitten und sein faltiges Gesicht war durchzogen von tiefen Furchen. Der Bauch hing ihm über den Gürtel. Sein Partner war ein jüngerer Mann, vielleicht dreißig, mit hellbraunem Haar, hellbraunen Augen und hellbrauner Haut - ein monochromer Typ. Mit all meinen Sinnen verschaffte ich mir schnell, aber umfassend einen Eindruck von ihnen.
Jetzt wusste ich also schon mal, dass die beiden versuchen wollten, mir die Schuld für die Verletzungen des Mädchens nachzuweisen; oder dass sie zumindest davon ausgingen, ich wüsste mehr, als ich zu sagen bereit war.
Womit sie natürlich teilweise Recht hatten.
»Miss Stackhouse? Haben Sie die junge Frau hierher gebracht, die von Dr. Skinner behandelt wird?«, fragte der jüngere Mann freundlich.
»Ja, Maria-Star«, antwortete ich. »Cooper.«
»Erzählen Sie uns, wie es dazu kam«, sagte der ältere Polizist.
Das war ganz eindeutig ein Befehl, obwohl sein Ton sehr moderat klang. Keiner der beiden Männer kannte mich oder hatte von mir gehört.
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